Claudia am 16. Mai 2019 —

Nutzlose Schulter-Operationen – weil wir das Altern nicht akzeptieren?

„Muss man mit 80 noch Tennis spielen?“ fragt der Orthopäde Wim Schreurs in einem SPIEGEL-Interview, das mich – obwohl schon von 2017 – zu diesem Artikel inspiriert. Es geht um die sogenannte „Schulterspiegelung“ (subakromialen Dekompression), über die große Studien heraus gefunden haben, dass sie im Grunde nichts bewirkt. Weil mal wieder nicht auf die Ursachen geschaut wird, sondern nur auf die Wirkungen: Schwellungen aufgrund entzündlicher Prozesse in Muskeln und Sehnen benötigen mehr Platz im Gelenk und verursachen das „Einklemmungssyndrom“. Also schabt man per OP hier und da was weg, anstatt zu warten, bis die Entzündung verschwindet.
Schreuers meint dazu:

„…wenn man lange genug wartet, verschwindet die Schwellung – und damit auch der Schmerz – oft von allein. Das sind einfach die Selbstheilungskräfte des Körpers. Operiert man bei einem Engpasssyndrom zu einem bestimmten Zeitpunkt, sind die Schmerzen danach zwar ebenfalls oft weg. Die Frage ist nur: Liegt das an der OP – oder ist das der natürliche Lauf der Dinge?“

Wie aus dem weiteren Text hervor geht, sind diese Erkenntnisse auch auf häufige Knie- und Hüftgelenksspiegelungen übertragbar. Was die Frage aufwirft: Verlangen wir im Alter dem Körper vielleicht einfach zuviel ab? Weiter Tennis spielen, womöglich noch Joggen, herausfordernde Reisen und Wanderungen – ist das „aktive Alter“ vielleicht einfach eine überzogene Erwartung, gespeist vom Fitness-Kult und der Verdrängung jener Prozesse, die früher als natürliche Begleiterscheinungen des Alterns angesehen wurden?

Der Orthopäde Schreurs meint, die langsame Degeneration der Gelenke sei wahrscheinlich einfach ein Teil des Lebens – müssen wir uns mit aller Macht dagegen stemmen? Könnte nicht das Akzeptieren des zunehmenden „Schwächelns“ gepaart mit der Entschleunigung sämtlicher Unternehmungen ein entspannteres, am Ende glücklicheres Alter bedeuten?

Arbeiten gegen das Altern – ist das die erfüllendste Version des letzten Drittels?

Folgt man dem als Jg. 1973 noch recht jungen Bestseller-Autor Sven Woelpel, gibt es gegen das Altern jede Menge zu tun. Der Titel seines Bucherfolgs spricht für sich: „Entscheide selbst, wie alt du bist“ (Werbelink) verspricht etwas, nach dem wir uns letztlich alle sehnen: Kontrolle über alles, was uns selbst betrifft, nicht hilflos irgendwelchen Prozessen ausgeliefert sein, sondern die Dinge selbstbestimmt in der Hand behalten. Aus der Kurzbio Woelpels auf Amazon:

 „Sven C. Voelpel ist Professor für Betriebswirtschaft an der Jacobs University Bremen und Gründungspräsident des WDN – WISE Demographie Netzwerks. Er ist Experte für Exzellenz. Dabei berät er Hidden Champions, Konzerne wie Allianz, Daimler, Deutsche Bahn, Deutsche Bank, Otto und Volkswagen. Derzeit beschäftigt er sich insbesondere mit der Effektivität von Führung und lebenslanger Fitness für Höchstleister.

Ich zitiere das, weil Woelpel in den Medien oft als „Professor / Altersforscher“ vorgestellt wird, so dass man glauben könnte, er hätte einen medizinischen bzw. geriatrisch-akademischen Hintergrund. Ob nun „lebenslange Fitness für Höchstleister“ tatsächlich auch ein Programm fürs ganz normale Altern sein kann, muss am Ende jeder selbst entscheiden. Dass Woelpel von „Superfoods“ begeistert ist und durch sein Leben rennt, um genug Bewegung im Alltag zu haben, kann man in einem 3 nach 9-Ausschnitt auf Youtube besichtigen. Im Buch finden sich unzählige Erkenntnisse, Rezepte und Tipps fürs lebenslange fit und munter bleiben – es eignet sich durchaus, den eigenen Ehrgeiz zu wecken und sein Leben entsprechend zu ändern. Auch persönlich wirkt Woelpel sympathisch und authentisch, er lebt offensichtlich, was er schreibt. Mit der Energie eines 45-Jährigen ist das allerdings noch ein anderes Spiel als mit 65 oder 75!

Gefühlte Ambivalenz: Kampf oder Hingabe?

Selbst fühle ich mich immer mal wieder hin- und hergerissen:  Phasenweise sehr motiviert, den Kampf gegen Alterserscheinungen engagiert aufzunehmen – und dann wieder eher das Gegenteil: Hab ich wirklich nichts Besseres zu tun, als gegen das Altern anzustrampeln, mich mit den stets wechselnden Erkenntnissen in Sachen „gesunder Ernährung“ zu befassen und meinen Alltag nach dem Motto „nur nicht schwächeln“ zu gestalten?

Deshalb endet dieser Artikel auch nicht mit einer klaren Meinung, denn die schwankt bei mir und mein Engagement ist so volatil wie meine Gelassenheit. Nur eines will ich festhalten: Bevor ich mich sinnlos operieren lasse, weil ich z.B. im Garten keinen Kompost mehr schmerzfrei schaufeln kann, lasse ich es lieber!

 

 

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Diskussion

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4 Kommentare zu „Nutzlose Schulter-Operationen – weil wir das Altern nicht akzeptieren?“.

  1. Wenn jemand stirbt, heißt es häufig: Der hat viel getrunken. Oder: der hat viel geraucht, der war so dick u.s.w. Wir wissen also durchaus, was uns gut tut und was nicht. Trotzdem bin ich viel zu schwer, bewege mich zu wenig und bin mit 65 in einem Alter, in dem man die Zeit hätte, sich mit diesen Fragen eingehend zu beschäftigen und Rückschlüsse zu ziehen. Ich glaube, es gibt immer mehr Menschen, natürlich auch jüngere, die das auch erfolgreich umsetzen. Ich gehöre nicht zu diesen, weil mein innerer Schweinehund recht stark ist. Ich beklage mich allerdings auch nicht. Im Gegenteil: ich bin froh, dass ich mich jetzt einigermaßen wohl fühle und versuche immer, das beste zu sehen.

    Mit dem Tennis habe ich Anfang der 2000er Jahre aufgehört. Seitdem fahre ich (viel zu selten) Rad und spaziere (ab und zu) mit meiner Frau. So gut uns das tut, wir machen zu wenig. Ich hatte vor ca. 10 Jahren riesige Probleme mit der rechten, später auch der linken und dann mit beiden Schultern. Ich hatte so starke Schmerzen, dass ich nachts nicht mehr schlagen konnte. Trotz starker Schmerzmittel. Irgendwann war ich soweit, dass ich einem Eingriff zugestimmt habe. Das war so Anfang/Mitte Dezember. Die Nacht vom 23. (meinem Geburtstag) auf den 24. hatte ich so starke Schmerzen, dass ich die Nacht in einem Sessel im Wohnzimmer verbracht habe. Seit diesem Zeitpunkt klangen die Schmerzen nach und nach ab. Ich habe den Eingriff abgesagt und habe heute nur noch ab und zu leichte Beschwerden. Die kann ich mit Salbe im Griff behalten. Leider hat wegen der Schmerzmittel damals mein Magen gelitten, trotz entsprechender Vorsorge. Es wird wohl oft stimmen, dass solche Schmerzen, wenn man die Geduld aufbringt, irgendwann wieder von selbst verschwinden. Bei mir war es so. Und ich kenne auch andere, denen es ähnlich ging.

  2. Hi Horst, danke für deinen ausführlichen Kommentar, der am Ende sogar bestätigt, dass Schulterschmerzen, sogar so massive, auch ohne Eingriff abklingen. Hast du denn in der Zeit eine eigene Theorie entwickelt, woher das gekommen sein könnte?

    Ja, der innere Schweinehund – auch bei mir ein starker Charakter! :-)

  3. Hallo Claudia,

    hallo Ü_60er:)

    Muss man mit 80 noch Tennis spielen?“ fragt der Orthopäde Wim Schreurs in einem SPIEGEL-Interview, das mich – obwohl schon von 2017 – zu diesem Artikel inspiriert. Es geht um die sogenannte „Schulterspiegelung“ (subakromialen Dekompression), über die große Studien heraus gefunden haben, dass sie im Grunde nichts bewirkt. Weil mal wieder nicht auf die Ursachen geschaut wird, sondern nur auf die Wirkungen: Schwellungen aufgrund entzündlicher Prozesse in Muskeln und Sehnen benötigen mehr Platz im Gelenk und verursachen das „Einklemmungssyndrom“. Also schabt man per OP hier und da was weg, anstatt zu warten, bis die Entzündung verschwindet.

    für mich waren die letzten 62 Jahre kein Grund, mich irgendwann mal unter ein Chirurgenmesser zu begeben, 30 Jahre handwerkliche Selbständigkeit mit Arbeitszeiten und körperlichen Belastungen weit jenseits „normaler“ Beanspruchung in „normalen 8/5Tage- Jobs“
    und trotzdem nicht einen Tag krank oder irgendwie die Sozialkassen beansprucht (von 3 oder 4 ambulanten Eingriffen infolge von Verletzungen abgesehen).

    Ein leben mit handwerklicher Tätigkeit geht auf die Gelenke, auf den Rücken, die Knie; es ist normal und gehört zum Leben.

    Es ist nur dann, wenn die Zeit langsam abgelaufen ist, kaum noch möglich
    wirtschaftlich gesehen über Behandlungen nachzudenken, wenn (wie so oft bei kleinstbetrieben üblich) die Vorsorge nicht ausreichend betrieben wurde.

    also bleibt: irgendwie Einkommen zu generieren um „irgendwie“ so alt zu werden, dass „der Löffel abgegeben“ werden kann.
    für mich heisst das:
    arbeiten bis zum wie auch immer gearteten Ende.
    das bisschen Rente kann ich genausogut zurückschicken:)

    gruss von der Rems
    ingo

  4. Naja, nur wegen dem Kompost würde ich mir nicht die Schulter operieren lassen. Schließlich habe ich einen Menschen, der das für mich erledigt.
    Aber wenn nun Tennis für mich etwas wäre, was mir wirklich wahnsinnig viel Spaß macht (was es nicht tut) und mir unendlich viel Freude bereitet, dann wäre das schon was anderes. Und eine schmerzende Schulter behindert einen auch bei anderen Gelegenheiten, zum Beispiel, wenn man die richtige Schlafposition im Bett finden will.
    Und Schlafen tue ich wirklich gerne.
    Liebe Grüße Sabienes