Claudia am 28. Juli 2016 —

Warum alte Menschen feindseliger sind als andere

Diese Frage hat Wilhelm Heitmeyer vom Institut für Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld untersucht. Zunächst: Es simmt! Die Ergebnisse der Langzeitstudie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland“ bescheinigen der Generation 65plus deutlich feindseligere Einstellungen als anderen Altersgruppen.

Zehn Jahre lang wurde die Entwicklung von Vorurteilen gegenüber sozial schwachen Gruppen wie Asylbewerbern, Langzeitarbeitslosen und Obdachlosen untersucht. Im Interview mit dem NDR berichtet Heitmeyer:

Wir haben festgestellt, dass die über 65-Jährigen sehr viel höhere „Abwertungswerte“ haben als die mittlere oder jüngere Altersgruppe: Es zeigt sich etwas, was ich als „rohe Bürgerlichkeit“ bezeichnen würde. Wer nicht Kriterien von Nützlichkeit, Verwertbarkeit und Effizienz erfüllt, wird abgewertet. Das trifft etwa gering Qualifizierte, Langzeitarbeitslose, Behinderte oder Obdachlose. Die „Generation 65 plus“ ist also ein Stück weit feindseliger gegenüber diesen Gruppen als andere Altersgruppen. Diese Abwertungen findet man unter ihnen nicht nur in der sogenannten Unterschicht, sondern auch in elitären Clubs. Dabei geht die ältere Generation zwar nicht mit Gewalt vor, aber mit entsprechenden Worten und auch mit Geschrei wird gelegentlich nicht gespart. Das ist für uns vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft ein bemerkenswerter Umstand, auf den man reagieren müsste. Aber das tut man nicht. Diese Gruppe wird ignoriert, obwohl sie in der Öffentlichkeit – zum Beispiel bei Pegida – sehr lautstark in Erscheinung tritt.

Und was sind die Gründe?

Als Ursachen für die feindseligere Einstellung der Alten führt nennt Heitmeyer mehrere Gründe:

  • Wenn nurmehr wenige soziale Kontakte bestehen, wirkt Fremdheit (Moscheen, Obdachlose..) irritierend.
  • Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung
  • zunehmende Immobilität
  • Mangelnde Annerkennungsquellen, da Arbeit als Quelle der Bestätigung entfällt und auch Kinder oft nicht mehr vor Ort wohnen, also insofern ausfallen.
  • Nicht mehr Mitkommen in der schnell sich verändernden Welt
  • Fehlende „Stabilisatoren“ wie Ehepartner, Verwandte, Freunde…

Heitmeier beklagt auch, dass sich niemand um die sich zuspitzenden Meinungen und Haltungen der Älteren und Alten kümmere:

„Um diese schleichende, verdeckte Feindseligkeit in Altenheimen – aber auch ganz normalen Familien – kümmert sich im Grunde niemand. Selbst dann nicht, wenn darauf hingewiesen wird, dass dort eine kritische Diskussion angefacht werden müsste. Aber Senioren sind eine sehr wichtige Wählergruppe und die Parteien scheuen sich, Veranstaltungen anzubieten, um kritische Debatten anzustoßen; etwa auch zwischen Jung und Alt. Die Parteien befürchten, diese Wählerschaft zu verlieren. Das ist schon ein ziemliches Problem.“

Nicht feindselig werden – wie schaffen wir das?

Auf die Frage, wie man es schaffen könne, im Alter nicht feindselig zu sein oder zu werden, weiß der Forscher allerdings keine Antwort, schließlich sei er kein „Gesellschaftsarchitekt“.

Muss man das sein, um hier Antworten zu finden? Immerhin ist Heitmeier selber stolze 71 Jahre alt. Dabei ließen sich doch einige Thesen aus den angegebenen Ursachen ableiten. Es braucht ganz offensichtlich „Stabilisatoren“, um nicht in miese Stimmungen, Ablehnung und Hass abzugleiten. Als alternder Mensch tut man sicher gut daran, nicht in Inaktivität zu verfallen, nur weil man „in Rente geht“. Das Wort „Ruhestand“ bezeichnet eine falsche Entwicklung, denn „Ruhe“ ist kein Lebensinhalt. Ein Ehrenamt oder ein Hobby, dass auch menschliche Kontakte mit sich bringt, ist gewiss hilfreich – und viele Alte machen das ja durchaus vor.

Bemerkenswert finde ich, dass die in der Studie festgestellte Ablehnung sich explizit gegen jene richtet, die die „Kriterien von Nützlichkeit, Verwertbarkeit und Effizienz“ nicht erfüllen. Eine klassische Projektion: Was man bei sich selbst nicht sehen will, weil man es nicht akzeptieren kann, bekämpft man bei Anderen. Traurig, aber wahr. Allerdings kann man sich dieser psychischen Proszesse auch bewusst sein bzw. werden – und dagegen angehen!

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Diskussion

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6 Kommentare zu „Warum alte Menschen feindseliger sind als andere“.

  1. Da sehe ich auch so, Claudia, dass bei der Altersfeindseligkeit die von dir beschriebene Projektion eine wichtige Rolle spielt. Ich beobachte das Phänomen auch und es nervt mich ungemein. Besonders, weil ich es ebenfalls an mir feststelle und ich mich schon seit 2-3 Jahren frage, was passiert da in mir?
    Dieses Gefühl einer Misanthropie, wie ich es für mich nenne, hat mich wie eine Krankheit befallen. Im Zusammenkommen mit Menschen lasse ich ihr zwar keinen freien Lauf, aber ich spüre doch oft deutlich ihr Vorhandensein.
    Nun beruhigt es mich ein wenig, zu lesen, dass dies nicht ein Problem ist, was ich alleine habe. Und um vorweg mal noch eine gute Nachricht dazu, die ich auch beobachtet habe, ist: dass die Menschen ab ca. 80 Jahren wieder in ein versöhnliches und friedvolles Zusammensein zurückfinden, mit einer Toleranz, die nicht selten mein Erstaunen und meine Bewunderung auslöst.
    So nehme ich mal für den Augenblick für mich mit, dass diese Altersfeindseligkeit lediglich eine Phase ist, die sich wieder gibt. Die aufgezählten Möglichkeiten dem allem entgegen zu wirken, halte ich für absolut sinnvoll. Dennoch würde ich meinen, dass dies nur eine altersaufkommende Grundstimmung überdeckt. Die Kunst ist es vielleicht, die Balance zwischen dem „wie ich sein will“ und dem „wie ich bin“ zu finden.
    Nun ist es ja mit dem Alter und dem Ruhestand so, dass die Kraft mit dem „Sehen“ der Augen nachlässt, aber die frei gewordene Zeit das „Sehen“ des Lebens erweitert. Das substituiert sich möglicherweise. So bedeutet für mich z.B. Ruhestand, „Ruhe“ vor der Arbeit zur Erschaffung des notwendigen Existenzerhalts. Da eröffnet sich schon ein sehr großer Freiheitsraum, der sehr ungewohnt ist. Ich glaube, dass viele Menschen dieses kostbare Gut erkennen und, und gerade weil so kostbar, diesem auch einen besonderen Sinn und Inhalt geben möchten.
    Aber jetzt komme ich vom Thema ab. Doch noch abschließend dazu: Ich glaube, dass alles so richtig ist, wie es ist. Nur weil ich vieles nicht in seiner gesamten Breite oder Tiefe erkenne, wird etwas nicht Gut oder Schlecht, Richtig oder Falsch. Und deshalb meine ich, und mir selbst würde das bestimmt auch öfters gut tun: Einfach laufen lassen!

  2. Danke Menachem für deinen wunderbaren Kommentar!

  3. Die 65+ erleben soeben die schlimmste Strafe, die sich die Menschheit für gesunde Bürger ausgedacht hat: das Erwerbsleben (Arbeitsleben) beenden zu müssen. Es ist das aber nur im sozialversicherungsrechtlichen Sinn so. Arbeiten kann und soll man ja trotzdem. Also niemand braucht aggressiv zu werden, weil er nicht mehr gebraucht wird, weil er sich über keinen Kollegen mehr beklagen kann, weil, weil, … Erkennen, dass eine Änderung stattgefunden hat und stattfindet, das ist der erste wichtige Tipp um aggressivem Verhalten die Spitze zu nehmen. Kurz zurückblicken, was man in seinem Leben schon alles erreicht und erlebt hat und sich darüber zu freuen, das ist der zweite Tipp. „In sich zu gehen“ und erkunden, was man noch alles ändern möchte und ändern kann, das ist der dritte Tipp. Sich über vorhandene geistige und körperliche Funktionalität zu freuen und diese produktiv einzusetzen, das ist der vierte Tipp. Und last but not least als fünften Tipp (für heute): in die Zukunft blicken und ernsthaft überlegen was geschehen soll, wenn man zum Pflegefall wird und auf die Hilfe, Pflege und Betreuung von Dritten (Ehepartnerin, Kinder, Nachbarn, Pflegepersonen) angewiesen ist, die in der heutigen Zeit schon durchschnittlich 10 Jahre lang andauert. Es gibt noch viel zu tun, sodass für Aggressivität eigentlich weder Platz noch Zeit bleibt.

  4. Ich beobachte es bei meinem Vater leider auch, und zwar seit er in Rente ist. Als würden die Kollegen als Regulatoren einfach fehlen. Meine Mutter ist noch da, diesbezüglich ist alles wie immer. Ich glaube, man hat mehr Zeit sich Gedanken um andere zu machen, wenn man älter wird und das Arbeitsleben hinter sich lässt. Und dann fehlt auch ein wenig der Sinn. Denn die vielen Dinge, die sie dann tun wollten, also Hobbys, für die keine Zeit war – die machen sie ja eben doch nicht. Leider.

  5. Woran das wohl liegt, dass Vorhaben später dann doch nicht umgesetzt werden, wenn endlich Zeit dafür ist? Was sagen deine Eltern denn dazu?

  6. Sie wundern sich selbst, aber eine tiefergehende Reflektion bleibt aus. Man sagt nur den bekannten Satz, dass man als Rentner ja erst recht keine Zeit hätte, das war es. Schade!