SuMuze am 15. Januar 2011 —

Zur Kunst des Alterns

Warum es auch jungen Menschen vor dem Alter grauen kann.

Es ist enorm praktisch, daß Dinge Eigenschaften haben. Zumindest, wenn es vorkommt, daß du vor dem Ding also solchem eine Heidenangst hast. Diese Angst ist natürlich selten begründet, wie dir jedermann versichern wird, dem du sie irgendwann verrätst.

Du kennst vermutlich diesen wunderbar beruhigenden Satz: „Du brauchst keine Angst haben!“ Der erstens zwar grammatisch falsch ist, aber dennoch fast immer formal verkehrt angebracht wird – was eine Art psycho-linguistisches Naturgesetz darstellen dürfte. Und der deshalb zweitens zu den vermutlich nicht auszurottenden Grunddummheiten der Menschheit zu gehören scheint.

Skulptur im Kölner Dom, Foto: Hans Snoek - Pixelio.deDenn gerade das ist ja das Beängstigende: Angst zu haben, obwohl es keinen erkennbaren Grund dafür gibt. Auf keinen Fall einen, den du vorzeigen kannst, ohne Gefahr zu laufen, dich der Lächerlichkeit preis zu geben. Angst, das ist wohl für einmal und immer gewiss, richtet sich stets auf das Namenlose und Gesichtslose. Das, was hinter der Tür, jenseits der Berge, der Blätter und des Horizontes wartet. Nicht das Ding auf der Schwelle, sondern jenes, das sich jeden Moment darauf dunkel, naß und entsetzlich niederlassen könnte, es aber noch nicht getan hat.

Sobald dieses Ding jedoch Eigenschaften bekommt, beginnt auch die Angst davor, solche anzunehmen. Und setzt somit ein Gesicht auf. Nimmt Gestalt an. Was sie schon kleiner macht. Freundlicher beinahe. Weil Gestalt und Gesicht der Angst ein zu Hause bieten, ein sie umgebendes Heim. Nicht das, was du in einem Gesicht siehst, ist ja das Unheimliche, sondern eben stets das, was du dort gerade nicht siehst. Oder noch nicht.

Nun ja, das ist sicherlich keine die Welt bewegende Einsicht. Daß das so ist, weiß doch im Grunde jeder Mensch. Ein Blick in den Spiegel reicht. Was du dort von dir zu sehen bekommst, kann dich stolz oder auch verlegen machen, dich anwidern oder begeistern – aber es macht dir eigentlich keine Angst. Es ist ja anwesend! Dort, direkt vor dir. Es hat Gestalt, Form, Zweck und Leben.

Doch das nicht zu Sehende – das kann eine grausame Angst machen. Weshalb Totenschädel ein uraltes Symbol für das Grauen darstellen dürften. Du siehst sie nicht unter der gesund und fest darüber gespannten Haut, hinter den leuchtenden Augen, den Lippen, in denen noch Blut zirkuliert, und der Nase, die vielleicht wieder einmal tropft.
Trotzdem lauert auch DEINER dort. In dir. Ist unsichtbar. Vorhanden aber nicht zu sehen. Wie das, was noch kommen wird. Wie das – Alter!

Teile diesen Beitrag, wenn er Dir gefallen hat!

Seiten: 1 2 3 4

Diskussion

Kommentare abonnieren (RSS)
44 Kommentare zu „Zur Kunst des Alterns“.

  1. […] Zur Kunst des Alterns – Warum es auch jungen Menschen vor dem Alter grauen kann. […]

  2. Klasse @Susanne, das du hier schreibst.

    „ Fragen wir uns also, ob die Kunst des Alterns (eine möglichst optimale Gesundheitsvorsorge einmal vorausgesetzt) nicht darin bestehen könnte, dass wir uns dem Altern gegenüber aufgeschlossener, freundlicher, insgesamt halt positiver geben. Bis wir es eines Tages vielleicht sogar tatsächlich sind. Gewohnheit schafft Tatsachen, und was wir uns nur lange genug vorspiegeln, nimmt irgendwann vielleicht Gestalt an.“

    Ich glaube Susanne, genau das geschieht hier und das darin auch das Anliegen der hier Lesenden und Schreibenden liegt.
    Und auch, wie du es ganz am Anfang schreibst, wenn die Dinge Eigenschaften bekommen, wird die Angst kleiner. Den Dingen Eigenschaften geben, genau, auch das wird hier versucht.

    „Die Wirklichkeit interpretieren“,
    dazu vielleicht einen Gedanken:
    Das Leben ist Altern. Und. Altern ist Tod.
    Das erscheint mir als folgerichtige Logik.
    Jedoch sprechen wir, während dieser Prozess seinen Lauf nimmt, in der Jugend und als Erwachsene noch nicht vom Tod. Und ich meine, das Alter ist genau so eine neue Lebensphase, wie vom Jugendlichen zum Erwachsenen zum Älteren. Sicher ist der Ältere zeitlich dem Tod näher, jedoch kann die Gestaltung dieser Lebensphase sehr unterschiedlich sein, wie du auch an vielen Beispielen aufzeigst.

    Angenommen, es würde sich mein Wunsch erfüllen, einmal im Orbit die Erde umkreisen zu dürfen. Ich kann mir vielleicht vorstellen wie es sein mag, wenn mich ungeheure Kräfte in die Umlaufbahn hieven und mein Körper an die Grenzen seiner Höchstbelastung kommt, vielleicht auch von Fotos her wie dieser wunderschöne blaue Planet von oben aussieht – aber es bleibt alles nur eine Vorstellung, verbunden mit Angst, Hoffnung, Freude.
    Wiederhole ich dieses Erlebnis, dann weicht die Vorstellung einer Erfahrung. Dann weiß ich, zu welchen kritischen Momenten ich Angst haben sollte, könnte und auch, zu welchen nicht.

    Vom Tod können wir eine Vorstellung haben, aber keine Erfahrung. Die machen wir nur einmal. Anders dagegen das Alter, in welchem uns durch Versuch und Irrtum immer wieder noch eigene aktive Handlungsmöglichkeiten offen stehen.

  3. An diesem Artikel beeindruckt mich unter anderem das Erkennen: SO ungefähr hätte ich mich (inhaltlich) mit 30+ auch geäußert!

    „Das aber ist alles Firlefanz und lenkt nur ab. Alter aber ist Tod, nichts anderes, und Altern ist Sterben. „

    Man kennt von sich selbst nur das „Grauen“, hat noch keine eigene Erfahrung mit erwähnenswerten Altersprozessen in Körper und Geist – geschweige denn mit der Verzahnung beider Ebenen im Sinne des Identitätsgefühls.

    Was du da als „Firlefanz“ aufzählst, sind typischerweise nur Erhaltungssätze: Behauptungen bezüglich dessen, was angeblich NICHT durch das Altern leidet: Sex mit 60, Gefühlsräusche, nach vorn schauendes Denken…. nun ja, ich kenne Menschen jenseits der 60, die das tatsächlich lustvoll erleben, ABER für mich ist DAS wahrlich nicht das Wesentliche am Altern! Es sind im Gegenteil typische „Werte der Jugend“.

    Wer immer nur „nach vorne schaut“, sieht nicht, wie die Dinge sich wiederholen, bzw. wie immer wieder mittels ähnlicher Verhaltensweisen dasselbe Schlammassel angerichtet wird. Gut, wenn es alte Menschen gibt, die das bemerken und auch mal was dazu sagen.

    Gefühlsräuschen in jugendlicher Heftigkeit möchte man gar nicht ohne Ende ausgesetzt sein, sondern genießt zunehmend andere, meist weniger Ich-zentrierte Dinge: die Freude, hier und da helfen zu können. Gute, nicht durch Begehren und Ehrgeiz irritierte Gespräche.

    Und ganz wichtig: wenn der Körper nicht mehr wächst, sondern sich spürbar Richtung Verfall entwickelt, STEIGT die Sensibilität entsprechend! Das ist etwas, das man sich als junger Mensch gar nicht vorstellen und auch nicht wünschen kann, was ich aber so ca. seit 40/45 zunehmend als QUALITÄT bemerke. Dass man keine Nächte mehr „durchmachen“ kann, heißt auf der anderen Seite: schon der Wechsel zwischen Wolke und Sonne kann mir einen ekstatischen Schub vermitteln, wenn ich „meditierend“ im Garten auf dem Liegestuhl liege und dem Summen der Insekten lausche.

    Das setzt aber voraus, dass ich für diese Wahrnehmungen offen bin, wofür Praktiken wie Yoga u.a. (die du als bloßes Anstrampeln gegen den unvermeidlichen Tod bespöttelst) sehr dienlich sind.

    „….daß es zur Kunst des Alterns gehören muß, stets eher das zu tun, von dem wir glauben, es wäre unserem Körper und unserem Geist zuträglich – und alles andere nach Möglichkeit zu meiden.“

    Das ist die Gesundheitsdoktrin unserer Zeit, die eigentlich alle Lebensalter meint. Und wenn man „Kunst des Alterns“ als Kunst versteht, ein möglichst HOHES Alter zu errreichen, ist das sicher richtig.

    Geht es aber um Glück, Freude, Weisheit und Liebe, dann kann Gesundheit und hohes Alter nicht fortwährend oberster Wert sein. Hätte ich alles Ungesunde in meinem Leben weggelassen, wäre ich heute eine Andere (und die wesentlichen Abenteuer hätte ich gar nicht erlebt). Beim glücklichen Altern geht es m.E. auch um das Gefühl, GELEBT zu haben – und dazu gehört ganz gewiss, nicht stets zuvorderst an die eigene Gesundheit zu denken.

    Natürlich tut man das automatisch mehr, wenn der Körper Fehlverhalten weniger verzeiht. Allein für die Gesundheit zu leben, sehe ich aber als eine der großen „Fallen“ des Alterns an, in die ich nicht tappen werde. Ach, was sag ich: ich KÖNNTE es gar nicht, war nie so und werde nie so! :-)

    Gewiss werde ich einzelne Themen dieses Artikels noch in eigenen Beiträgen besprechen. Ist ja schier unmöglich, hier alles zu kommentieren, was ich gerne kommentieren möchte!!

    1000 Dank also für die nachhaltige Inspiration! :-)

  4. Liebe Susanne,
    Deinen Text fand ich nicht zu lang und habe ihn so aufmerksam, wie ich es gerade konnte, gelesen.
    Dein Können im Umgang mit Sprache bewundere ich wie die meisten hier – das ist nichts Neues, fürwahr, aber erwähnen möchte ich es trotzdem, denn das ist es, was ich an Deinen Texten so attraktiv finde und das mich hinzieht.
    Nicht so attraktiv finde ich, um einmal anzufangen, Dein Umgehen und Benennen der zwischenmenschlichen Intimität. Das sich körperlich Nahe sein können zu reduieren auf Hecheln, Anschwellen, Fleisch, „nette Augenblicke“ ect passt mir nicht. Für mich ist zwischenmenschl. Initimität „heilig“ (ja, lach nur – und bitte möglichst heftig!) – auch wenn sie in einer Hinsicht profan wirken kann.
    Ich mag es nicht, wenn man alles und jedes seziert und reduziert aufs Egoistische und Profane. Wenn man so verfährt, bleibt nichts mehr übrig…und dann können wir gleich nachhause gehen.
    Im Übrigen: In Deiner Prosa auf „Sumuze“ las ich des öfteren sehr schön von Erotik. Das ist in Deinen kritischen Texten ganz aufgehoben und macht einer Fratze Platz.
    Das Alter, um jetzt mal auf mein (derzeitiges) Empfinden loszugehen, macht mir nur wegen eines möglichen Siechtums Angst. Angst habe ich natürlich auch vor einem plötzlichen Zwischenfall wie Krebs, weil der meine Gelassenheit und Ruhe zerstören wird.
    Aber ansonsten habe ich nichts einzuwenden gegen meine Endlichkeit.
    Ich hechele nicht nach neuen und tolleren Genüssen oder meine nicht, dies und jenes noch sehen zu wollen, sozusagen um ein riesiges Gepäck an Erfahrungen und Kenntnissen anzuhäufen.
    Ich finde auch keinen Sinn, statt etwa 80 Jahre 160 Jahre zu leben. Wenn man tatsächlich 80 Jahre oder mehr lebt, hat man Zeit genug, alles zu erleben, was das Leben so bieten kann.
    Und wenn man etwas versäumt hat auf dem Weg? Na wenn schon!! Um auch mal in Deinen Kategorien zu sprechen: Ein besonders unerhörtes exotisch-erotischesAbenteuer erleben und gleichzeitig Kaviar goutieren hatte ich noch nicht. Und ist mir auch schnuppe.
    Kann sein, daß ich mich mit meiner Gelassenheit (ich nenne sie mal so) in irgendeiner Form betrüge. Wer kann das wissen? Es gibt genug Feinsinnige, die mir „Betrug“ nachweisen könnten: „Du lügst Dir nur in die Tasche“. Kann sein, nur weiß ich halt nichts davon. Und muß ich’s wissen?
    Bezüglich Deinen Ritten gegen angeblich verjüngende Mittel wie Creme, kosmetische Operationen, Straffung, Sport, spirituellen Riten oder „Einkauf jungen Fleisches“ (TOLL, muß ich sagen): Ich finde diese Dinge auch überflüssig, wenn man sie zur „Jungerhaltung“ anwendet. Ich finde es ganz gut und passend, mit 56 wie 56 auszusehen. Ich brauche nix anderes. Natürlich möchte ich nicht wie 66 wirken, dann hätte ich was in meiner Lebensführung falsch gemacht.
    Das nur in der gebotenen Kürze – leider sehr verkürzt, es gäbe noch viel zu sagen.
    Gerhard

  5. Die gute Nachricht ist: Unter strahlend blauem Himmel mit fast osterhaften Temperaturen sind heute Morgen die Pfingstrosen durch den aufgetauten Boden gestoßen. Erneuerung.

    Und erneuern wir nicht auch ständig das Bild, das wir von uns selbst haben? Beim durchlesen der Kommentare muss ich an XI.G, oder Faceb..k denken, in denen wir in jungen Jahren ein Profil zeichnen, wie wir uns sehen. Selbstbewusst und nicht fragend, ob die Proportionen stimmen. Hier zeichne ich auch wieder ein Bild von mir, jedoch ist darin sichtbar verborgen, mein wahrnehmbarer Wunsch zur Korrektur enthalten. So empfinde ich es aus meinem Schreiben, so empfinde ich es auch aus dem Gelesenen.

    Das hat vielleicht etwas mit Alter zu tun. Das „in die Tasche lügen“, Affirmationen und das „tragen unserer Masken“, wie sie seinerzeit Christa in ihrem blog beschrieb, erfordert immer wieder einen Kraftaufwand, den ich mit zunehmender Feststellung meiner schwindenden biologischen Kraft nicht mehr bereit bin, weiter in diese Dinge zu investieren. Ich glaube schon, das man im Alter die verbleibenden Kräfte lieber zu bündeln versucht und auf das konzentriert, was einem nun wichtig erscheint. Und die Gedanken gehen nun in eine andere Richtung.

    Mit 30, in meiner biologischen und materiellen Hochblütezeit, wusste ich zwar, das wir in unserer arbeitsteiligen Welt einander brauchen, aber ich war auch der Meinung, das ich damals und für alle Zeit gut für mich selber sorgen könnte. Heute sehe ich das fast genau umgekehrt.

    Die Selbstlüge wird immer Bestandteil meines Ich`s sein, die im allgemeinen und in extremen Fällen ein Leben und Überleben erst ermöglicht. Jedoch wächst heute meine Bereitschaft, diesen noch unschönen Stein zu behauen, wenn auch nur Stück für Stück und auch nur, mit dem kleinen Hammer.

  6. also, sumuze,

    ich kenne dich nicht, jung scheinst du zu sein und sprachgewandt.
    deine subjektiven wahrnehmungen und geistigen inspirationen dem alter und den wirtschaftlichen interessen der schönmacher gegenüber ist sehr wach und ausgeprägt positiv für dich. dass es dich davor schützen kann, diese falschen wege zu beschreiten, wenn dich die zipperlein erst plagen, wünsche ich dir sehr.
    es ist die garantie ganz du selbst zu sein, in deinem fall zu werden.
    die bestätigung bekommst du erst in 40 jahren, wenn du nach weiteren reflexionen feststellen kannst, (und von deinem weg nicht abgekommen bist), dass all die schönmachenden cremes und turnereien und diäten niemandem geholfen haben, wenn dich die grimassenverzerrten gesichter mit aufgerissenen augen (s. insbesondere die vielen schauspielerinnen, bis zur unkenntlichkeit und mit tierisch starrendem blick) in schrecken versetzen. das wäre ein grund für mich, mich zu ängstigen, wo du schon so ausführlich von angst sprichst.
    aber die dinge, in denen es im alter auch geht,
    als da wären
    krankheit
    armut
    einsamkeit
    u. u. u.
    davon sprichst du nicht, kannst du gar nicht sprechen. da fehlen dir die erfahrungen.
    und viele schönheitswilden sprechen ja davon auch nicht, weil dann das bild, das sie von sich haben, zerbräche. du kennst das ja, wenn du fragst, wie geht es dir und immer nur ein ´danke gut´kommt, obwohl du die chance für ein gespräch gegeben hast. aber das ist bei vielen eine reine überforderung. darüber spricht man ja nicht. und andere gesprächsinhalte stehn nicht zur verfügung – bei vielen…. entschuldige meine überheblichkeit. das sind schlicht meine erfahrungen.
    und dass du noch nicht gestorben bist, und deshalb vom tod nichts weisst – das verdrängst du, oder es entzieht sich dir diese ebene. wir sterben, jeden tag ein bisschen, wir sterben tausend tode bis es dann zum letzten kommt – und wir werden jeden tag neu geboren. durch unsere anstrengungen und bemühungen unser innerstes zu nähren bergen wir einem reichtum, von dem wir leben, mit dem wir sterben können. wir leben ja nicht nur mit unserem körper, wir leben ja auch in unserem geiste. darauf zu achten, dass ich nicht verblöde, das war und ist mein grösstes anliegen. krankhafte zwischenfälle können wir nicht einkalkulieren und ich hoffe, dass mir das erspart bleibt.

    hier schliesse ich ersteinmal. es gäbe zu jedem satz etwas zu sagen. danke für deine mühe. es regt an, andere erfahrungen auszutauschen. besonders junge menschen rütteln wach, machen nachdenklich mit ihren äusserungen. und es zeigt mir, dass die zeiten heute so ganz anders sind und deine erfahrungen, die du machen kannst, nicht im geringsten denen entsprechen, die ich machen konnte, als ich so jung war wie du.
    ich werde in ein paar tagen 72.
    rosadora

  7. Zu den folgenden Punkten in den Kommentaren, über die ich mich sehr gefreut habe, möchte ich mich gerne äußern:

    Menachem sagt: „Jedoch sprechen wir, während dieser Prozess [das Altern] seinen Lauf nimmt, in der Jugend und als Erwachsene noch nicht vom Tod.“
    Das sehe ich anders. Das Thema Tod interessiert jeden Menschen, allerdings sicherlich jeden auf eine leicht andere Weise. Und darüber zu reden ist eher eine Frage der Bereitschaft, über das, was uns im Kopf umher spukt, zu reden, als eine des Alters. Ich kenne zumindest viele jüngere Menschen, die oft und mit Leidenschaft (und natürlich wenig empirisch untermauertem Sachverstand) darüber reden.

    Und er sagt weiter: „Mit 30, in meiner biologischen und materiellen Hochblütezeit, wusste ich zwar, das wir in unserer arbeitsteiligen Welt einander brauchen, aber ich war auch der Meinung, das ich damals und für alle Zeit gut für mich selber sorgen könnte. Heute sehe ich das fast genau umgekehrt.“
    Das zu glauben fällt mir doch eher schwer. Die Ansicht, jemals und gar für immer ‚gut für mich selbst sorgen‘ zu können, halte ich, salopp gesagt, für nicht ausreichend durchdacht. Die Gründe dafür finden sich in meinem Text, und sie gelten für jüngere Menschen wie für ältere. Diesen Irrtum zu korrigieren sollten die Erfahrungen jedes Menschen fast jeden Alters ausreichen.

    Claudia sagt: „Man kennt von sich selbst nur das ‚Grauen‘, hat noch keine eigene Erfahrung mit erwähnenswerten Altersprozessen in Körper und Geist – geschweige denn mit der Verzahnung beider Ebenen im Sinne des Identitätsgefühls.“
    Auch das sehe ich ganz anders. Jeder des Denkens fähige Mensch macht laufend Erfahrungen mit Prozessen (Alter, Krankheit, Rausch, Glück, Ekstase, auch etwa der Trott des Alltags), die eine Verzahnung von Körper und Geist umfassen. Daß nicht alle Menschen diese gleichermaßen reflektieren und schon gar nicht ihre Gedanken dazu gleichermaßen äußern, besagt nicht, daß sie es nicht doch alle auf ihre Weise tun.
    Und daß in den ersten Lebensjahren die Zunahme an körperlichen Fähigkeiten die Abnahme derselben dominiert, während später die Menge an körperlichen Eindrücken überhand nimmt, besagt nur, daß sich Lebensphasen in dieser Hinsicht sehr unterscheiden. Nicht aber, daß Identitätsstiftung sich nicht immer auch solcher Erfahrungen bediene.

    Gerhard sagt: „Das Alter, um jetzt mal auf mein (derzeitiges) Empfinden loszugehen, macht mir nur wegen eines möglichen Siechtums Angst. … Aber ansonsten habe ich nichts einzuwenden gegen meine Endlichkeit.“
    So weit ich mit anderen Menschen spreche und mich selbst kenne, gibt es viele Wege, sich mit der Vermutung der eigenen Endlichkeit zu beschäftigen. Einfach nur Angst davor zu haben ist eine, die nach meinem Dafürhalten dominiert, wenn wir in einer Ausnahmesituation uns befinden und nach einfachen, klaren Gefühlen greifen wollen (oder ihnen unterworfen sind). Mit etwas mehr Chancen zu Gelassenheit sind die meisten Menschen durchaus bereit und fähig, gegen die vielen eher kleinen Ärgernisse der eigenen Endlichkeit das eine, aber dafür um so entsetzlichere Grauen der Unendlichkeit auszuspielen. Um sich vielleicht dann mit der Endlichkeit als kleinerem Übel zu arrangieren.

    Und er beschwert sich über mein „Umgehen und Benennen der zwischenmenschlichen Intimität“ und daß „alles und jedes seziert und reduziert aufs Egoistische und Profane“ sei. Bzw. daß in meinen „kritischen Texten [schöne Erotik] … einer Fratze Platz“ mache.
    Ich hoffe, daß dieser Eindruck sich zum geringeren Teil aus der Intention meines Textes nährt, manche Dinge sehr pointiert und daher auch übertrieben darzustellen. Befürchte aber, daß es sich zum größeren Teil in der Tat um eine Verschiedenheit des Herangehens handelt, die nicht wegzuleugnen ist. Ich sehe durchaus sehr gerne das Egoistische und Profane in dem, was Menschen tun, sagen und denken (ob nun im Büro, auf der Straße, in der Küche oder im Bett). Es hilft mir, sie für mich besser zu verstehen und von ihnen nicht überrollt zu werden.
    Ob das eine in einem kausalen Sinne Altersfrage ist, bezweifele ich. Vielleicht spielt nur die schiere Menge der Erfahrungen mit anderen Menschen eine Rolle, die wir im Laufe des Lebens ansammeln. Welche die Chancen heftig steigen läßt, auch einmal andere Seiten von Menschen als die altruistischen und sakralen kennen zu lernen.

    Rosadora schreibt: „… dass du noch nicht gestorben bist, und deshalb vom tod nichts weisst – das verdrängst du, oder es entzieht sich dir diese ebene. wir sterben, jeden tag ein bisschen, wir sterben tausend tode bis es dann zum letzten kommt – und wir werden jeden tag neu geboren.“
    Ich denke dagegen, ich weiß vom Tod so viel wie jeder andere Mensch auch – nämlich nichts.
    Ich weiß vom Absterben des Körpers so viel, wie mir auf der einen Seite die modernen Naturwissenschaften erzählen und auf der anderen Menschen, die mitten drin stecken und darüber mit mir zu sprechen bereit sind. Und wie Krankheiten und andere Ausnahmezustände es mir selbst nahe brachten oder bringen. Jeder Mensch erlebt dies anders und geht mit seiner Angst oder seiner Neugier anders um. Aber wir alle tun das, indem wir uns den Tod irgendwie vorstellen. Ohne dabei jedoch diese Vorstellung mittels einer geteilten Erfahrung im Vorhinein den vielen anderen Vorstellungen anderer Menschen angleichen zu können.
    Das schöne Bild, jeden Abend zu sterben und jeden Morgen neu geboren zu werden, gefiele mir erheblich besser, wenn ich ihm nur irgendeine Konsequenz für mein tägliches Leben, Fühlen, Denken und Handeln abringen könnte. Das kann ich jedoch nicht. Ich bin morgens nicht neu, höchstens weniger müde als abends. Alles andere, meine Erinnerungen und Fähigkeiten und Zipperlein sind allesamt noch da (oft sehr zu meinem Ärger) und ich muß auch nicht alles neu lernen (was wiederum recht nett ist).

    Allen Kommentatoren zum Schluß mein herzlicher Dank für ihre Reaktionen auf den Text. Zusätzlich danke ich Claudia, deren Gestaltung mir außerordentlich gefällt. Vor allem der Totenkopf hat es mir angetan! Yoga, das Du ja liebst, bespöttele ich übrigens überhaupt nicht „als bloßes Anstrampeln gegen den unvermeidlichen Tod“, sondern halte es im Gegenteil für eine (von allerdings vielen) sehr brauchbare Leibesübung mit angenehmen geistigen und körperlichen Folgen. Wird es aber nur als ‚Jungbrunnen‘ betrieben, grinse ich in der Tat hinter vorgehaltener Hand oder lache mir sogar eins ins Fäustchen.

  8. Liebe Susanne,
    Du schreibst: „Das Thema Tod interessiert jeden Menschen“. Das ist sicherlich wahr, erinnere ich mich doch an mich als kleinen Jungen, der geängstigt war vom Tod und sich selber tröstete, daß er rechnerisch noch 10 -12 mal so lange leben wird wie bisher.
    Weiterhin schreibst Du „ Ich sehe durchaus sehr gerne das Egoistische und Profane in dem, was Menschen tun, sagen und denken.“
    Ja, ich denke, das tust Du. Dich zieht gleichsam das Dunkle an, meine ich. Warum und wieso, darauf gibt es keine einfache Antwort. Deiner Antwort:“ Vielleicht spielt nur die schiere Menge der Erfahrungen mit anderen Menschen eine Rolle, die wir im Laufe des Lebens ansammeln. Welche die Chancen heftig steigen läßt, auch einmal andere Seiten von Menschen als die altruistischen und sakralen kennen zu lernen“ kann ich nicht zustimnmen.
    Ich meine , daß das nicht stimmt. Ich kenne und kannte Menschen sehr nahe, die ein langes Leben mit schwierigen , egoistischen Menschen zu tun hatten, angefangen mit Mutter, dann Ehemännern, mißgünstige Verwandte ect. Würde man das ganze Paket eines solch betroffenen Menschen nehmen und betrachten, müsste man (zwingend) annehmen, daß nur Agression, Wut, Mißtrauen, Rachsucht , Männerhaß und Abkehr die Folge wäre. Dem ist aber oft nicht so. Man findet in so manchem Fall eine „unversehrte“ Seele, in dem Sinne (!), daß sie zu reinen Liebe und zu Vertrauen fähig ist und „gleichsam neu beginnen“ kann. Anders und weniger plakativ kann ich es jetzt gerade nicht benennen.
    Die angeklungene Formel: „Böse Welt“ schafft „böse Seele“ stimmt nicht zwingend.

  9. Auch ich möchte gerne meine immense Lebenserfahrung hier zum Ausdruck bringen:

    Altern kann jeder. So wie jeder irgendwie geboren wurde und essen, schlafen, kacken kann, bevor er am Ende stirbt. Die Beobachtung zeigt, daß es während der Zeitspanne zwischen Geburt und Tod so manchem vor etwas graut. Den einen graut es vor ziemlich vielem und lang anhaltend, den anderen nur kurz und selten. Ich bin der Ansicht, das dies eine Typfrage und im Wesentlichen nicht zu ändern ist. Eine Möglichkeit mit dem Grauen umzugehen besteht darin, darüber zu reden. Manchmal verliert sich das Grauen dadurch ein wenig. :)

  10. bitte, schreibt doch euer alter dazu.
    mit 50 denkt man anders als mit 80…
    schönen tag
    rosadora

  11. Liebe Rosadora,
    bin 56, wie schon oben erwähnt.
    „mit 50 denkt man anders als mit 80…“: Das kann man wohl nur für seine Vita sagen. Vielleicht denke ich mit meinen 56 wie Sumuze mit ihren 32, wer weiß?

  12. @Gerhard

    Ich habe einige Schwierigkeiten mit Deinem vorletzten Kommentar. Ich denke absolut nicht, daß mich ‚das Dunkle‘ mehr anzieht als ‚das Helle‘ – wie immer wir auch beide Seiten voneinander abgrenzen.

    Der Anlaß hier waren zwei Gegenüberstellungen: egoistisch versus altruistisch und profan versus sakral, die ich beide wohl auf meine Kappe nehmen muß.

    Ich kann dunkel/hell keineswegs eindeutig auf eine Seite in diesen Paaren verteilen.
    Egoismus halte ich nicht für dunkel oder gar böse, Profanes ebenfalls nicht. Und umgekehrt sehe ich nicht nur Helles in Altruismus oder Sakralem.
    Für mich gehören sie zum Menschen, wie Achselschweiß und Nächstenliebe. Letztlich wohl deswegen, weil die Welt, von der allein ich reden kann, die Welt von Menschen ist – und nicht die Welt von Göttern oder Teufeln oder der Kunst oder der Weisheit oder ähnlichem Zauber.
    So wie jeder Säulenheilige zumindest die Säule braucht, auf der er hockt, um aus dem Diesseits sich für alle Welt sicht- und anbetbar ein Stück ins Jenseits zu erheben, so braucht jede Liebende den Geliebten, an den sich ihr Gefühl richtet, um bereits auf Erden für ihre Selbstlosigkeit am eigenen Leib belohnt zu werden.

    Darin sehe ich keine Formel wie ‚böse Welt schafft böse Seele‘ – und hoffe doch, Du wolltest damit nicht andeuten, meine Seele sei böse. ;-)
    Sondern es ist nur der Versuch, Erfahrungen und Eindrücke, die unabweisbar und laufend auf mich einwirken, in ein für mich sinnvolles Muster zu pressen, damit sie nicht alle zu chaotisch auf mich einstürmen. Während unseres Alterungsprozesses, so vermute ich, türmen sich solche Eindrücke immer weiter gewaltig auf. So daß allein in der wachsenden Zahl der Erfahrungen die Möglichkeit einer wachsenden Variation ihrer Inhalte besteht.
    Genau das hatte ich mit der „schiere[n] Menge der Erfahrungen mit anderen Menschen“ ansprechen wollen.

  13. Susanne,
    ich hatte mich in meinem Kommentar an den Satz gehalten: „ Ich sehe durchaus sehr gerne das Egoistische und Profane in dem, was Menschen tun, sagen und denken „. Das klang für mich wie „Ich suche sehr gerne das Egoistische und Profane im Verhalten der Menschen, weil ich es hasse und weil es übel ist..und weil es alles ist.“ Das hat mich zu diesem meinen Parforceritt veranlasst, der damit naturgemäß auch recht emotional wurde…und ich fing auch an, aus dem Nähkästchen zu plaudern, etwas, das mir im Nachhinein immer etwas leid tut.
    Ich merke an dieser Auseinandersetzung, daß man/ich nicht richtig zuhört, abwägt, nachdenkt, sondern schnell eine Schablone rausholt. Es macht etwas mutlos.

    Du schreibst: „Während unseres Alterungsprozesses, so vermute ich, türmen sich solche Eindrücke immer weiter gewaltig auf. So daß allein in der wachsenden Zahl der Erfahrungen die Möglichkeit einer wachsenden Variation ihrer Inhalte besteht.“
    Das weiß ich nicht. Wenn man den wachsenden Berg an Erfahrungen mit immer der gleichen Brille betrachtet, dann tut sich wenig mit der Veränderung des Gesehenen. Es ist ja bekannt, daß man (teilweise anonyme) Kernsätze mit sich rumträgt und die mögen das meiste Erfahrene in bestimmte wohlbekannte Farben eintauchen. Und damit hat es sich.
    Gruß
    Gerhard

  14. Hm, muss ich denken…eigentlich beschäftige ich mich schon lange mit dem Altern. Seit meine Mutter, jetzt neunzig und dement, vor 30 Jahren – als ich 37 war – offensichtlich alterte. Dann habe ich das Alter mit der Erkrankung meines Mannes erlebt und jetzt – na ja ich lebe noch gerne, trotz Alter! Beweglich bleiben, meinen Haushalt, meinen Garten selbst machen – das möchte ich noch lange…..und dabei nicht allzusehr sparen müssen….

    Im übrigen ist für mich jeder gelebte Tag ist ein kostbarer, aber eben entschwundener Tag …und für alle, ohne Ausnahme, 24 Stunden hatte… das finde ich zutiefst gerecht und demokratisch! Dafür bin ich meinem Schöpfer sehr dankbar und ansonsten…. habe ich das Motto: Leben und leben lassen!
    Inge, die demnächst den 67. Geburtstag feiert!

  15. Administrative Zwischenbemerkung:

    Ich habe ein zusätzliches Feld für „Jahrgang“ ins Kommentarformular eingebaut. Es funktioniert AB JETZT, doch werde ich – sobald dieses kostenpflichtige Plugin ein entsprechendes Update erfährt – versuchen, auch in den vergangenen Kommentaren den Jahrgang nachzutragen. (Natürlich nur von denjenigen, die ihr Alter hier bereits öffentlich gemacht haben).

  16. dann erzähl mal lieber uwe. das leben besteht sicher nicht nur aus essen ,
    schlafen und kacken. und zwischen den polen geburt und tod sind die ereignisse und erfahrungen soooo gross, wie es menschen gibt.
    aber sag mal deine konkret.

    ausserdem finde ich, dass frauen- und männerleben nicht miteinander zu vergleichen sind.
    ich fände schön, das hier zu trennen. solange männer mitreden, sind die äusserungen der frauen auch nicht sehr persönlich – meine erfahrungen., und alles bleibt theoretisch.
    wie kannst du dir das vorstellen, liebe claudia?
    zwei foren nebeneinander…

    rosadora

  17. Liebe Rosadora,

    meinen Beobachtungen und Vorstellungen zufolge, wird so ähnlich gealtert und gestorben, wie zuvor gelebt wurde, mit weniger oder mehr Ängsten, leichter oder schwerer. (Der Titel von Susannes Abhandlung enthält die Andeutung, daß Altern Angst machen könne.)

    Dafür mag es Gegenbeispiele geben, keine Frage. Jeder Mensch erlebt sein Leben anders, beobachtet anderes, glaubt verschieden. Vielleicht geschieht jedem nach seinem Glauben? Leben zu vergleichen macht vermutlich sehr wenig Sinn.

    Ist diese Männer-Frauen-Problematik für Dich noch immer aktuell? Für mich nicht.

  18. @Susanne (SuMuze):

    Jetzt verrate nur noch, wie viele Flaschen Rotwein von welcher Sorte DICH zu diesem Hirnfick namens „Warum es auch jungen Menschen vor dem Alter grauen kann“ inspiriert haben (ganz nüchtern kannst du wohl beim Verfassen desselben nicht gewesen sein!).

    Dabei scheint es dir offenbar weniger vor dem eigenen Alter(n) zu grauen (du bist ja „rein empirisch noch niemals gestorben“ und lebst nach dieser deiner eigenwilligen Logik vermutlich ewig), als viel mehr vor Rad fahrenden älteren Männern in neongrellen Klamotten.

    Aber im Ernst: Was den „längsten Artikel in Claudias Bloggerleben“ halbwegs interessant macht und den/die geneigte(n) Leser/-in bis zum späten Ende durchhalten lässt, sind die pointierte Sprache und die Art und Weise, wie du mit messerscharfem Verstand und Beobachtungsgabe die Wirklichkeit sezierst.

    Was ich hingegen in deinen Texten vermisse (nicht nur in diesem, aber in diesem über das Altern ganz besonders) und was verhindert, dass Quantität (Länge) und Qualität sich die Waage halten, sind die Zwischentöne. Jene Graubereiche und Nuancen des Lebens, die sich aus einem „Vielleicht“ ergeben. Daraus etwas nicht zu wissen oder nicht genau sagen zu können; auch aus der Reflexion der eigenen Unsicherheit und Begrenztheit des Autors/der Autorin. Denn das ist es, was einen Text „menschlich“ macht, was den Leser mitschwingen lässt und im günstigen Fall auch Erkenntnis und Horizonterweiterung bewirkt.

    Dein Geschriebenes (hier in Claudias Blogs, anderes kenne ich nicht von dir) vermittelt mir hingegen all zu oft den Eindruck, dass du aus großer Höhe und Distanz das Leben betrachtest, dir aus dieser abgehobenen Perspektive ein Bild machst, mit dessen Hilfe du dann die Realität zu erklären suchst. Dass Menschen somit in deinem Leben eine andere Rolle als die von Statisten zukommt, kann ich mir nur schwer vorstellen.

    Andrererseits ist es natürlich für jemanden deines Alters auch schwer, wenn nicht gar unmöglich, einen authentischen Text darüber zu verfassen, „wie sich dem Altern gegenüber zu stellen wäre“. Weil eben, wie @Rosadora schon anmerkte, dir die praktische Erfahrung mit dem Alter(n) fehlt (mit Anfang 30 geht es ja noch lange nicht bergab). Daran ändern auch philosophische Bonmots, wie: „das Altern beginnt bereits mit dem ersten Tag des Lebens“ (ich weiß gerade nicht, ob das bei dir oder in einem der Kommentare geschrieben steht) oder deine an anderer Stelle von dir erwähnten Altenheimerfahrungen nichts wesentliches.

    Klar, alles, was du in deinem Artikel im Zusammenhang mit dem Altern kolportierst („Einkauf jungen Fleisches“, Schönheits-OPs etc.) ist Bestandteil der Realität in diesem Land und dieser Gesellschaft. Aber ich bezweifele sehr, dass es etwas mit der Alltagswirklichkeit der allermeisten älteren und alten Menschen zu tun hat – und noch weniger mit der der Leserinnen und Leser dieses Blogs.

    Irgendwo habe ich mal den schönen (und bestimmt nicht unklugen) Satz gelesen: „Wahrhaftige Begegnung (zwischen Menschen) kann dann stattfinden, wenn wir aufhören zu wissen (wie andere Menschen [vermeintlich] „ticken“, was falsch ist und was richtig, wie das Leben „funktioniert“ …) und statt dessen anfangen zu fragen„.

    Das gilt vermutlich auch für die Interaktion zwischen Textautoren und deren Lesern: Ein guter und nachvollziehbarer Text beschränkt sich i.d.R. entweder auf die Beschreibung der Realität (ohne jegliche Wertung und Interpretation) oder aber er wirft, wo er sich über diese Ebene hinaus erhebt, mehr Fragen auf als er Antworten liefert.

    Gruß, Peter

  19. @Peter

    Nur teilweise stimme ich dem zu, was Du anmerkst. Das Unentschiedene scheint sich dem Unerreichbaren anzuschmiegen, richtig. Im Sowohl-als-auch ist alles enthalten, und Grau sind nicht nur alle Katzen bei Nacht, sondern auch das Licht, bevor es etwas erleuchtet.

    Daran mag man Geschmack finden, aber ich mag ein ‚Vielleicht‘ nicht allzu gern. Ein paar mehr Kanten und etwas mehr Licht – ob nun zu scharf oder zu grell ausfallend, spielt dabei für mich keine große Rolle – gefallen mir erheblich mehr. Sie helfen auf jedenFall, einen Text für mich mehr als nur halbwegs interessant zu machen.

    Und Texten, die sich vorgeblich jeder Wertung und Interpretation enthalten, stehe ich äußerst mißtrauisch gegenüber, da ich von ‚Realität‘ glaube nicht ohne Wertung und Interpretation sprechen zu können und demjenigen, der mir das Gegenteil weismachen will, dann oft heimliche Absichten zutraue, wegen derer er verschleiern möchte, was er tut.

    Schauen wir uns doch nur einmal das von dir angeführte philosophische Bonmot an: „Wahrhaftige Begegnung (zwischen Menschen) kann dann stattfinden, wenn wir aufhören zu wissen (wie andere Menschen [vermeintlich] ‚ticken‘, was falsch ist und was richtig, wie das Leben ‚funktioniert‘ …) und statt dessen anfangen zu fragen.“

    Es ist erstens eine Vorschrift und absolut keine neutrale Beschreibung einer nicht bewerteten Realität, und zweitens fragt es nicht, sondern konstatiert sehr deutlich, daß es genau wisse, wie Begegnungen zwischen Menschen richtig funktionierten.
    Womit es dem Gesetz, das es selbst anführt, schon untreu geworden ist. Ein in meinen Augen leicht peinlicher Fauxpas (den ich aber gerne mit dem Genuß einer Flasche Rotwein entschuldigen werde ;-))

    Fragen hingegen gefällt mir immer gut. Ich habe daher auch eine: Bist Du Dir ganz sicher, daß jemand 32 Jahre alt werden kann, ohne dabei zu altern?

  20. @Susanne

    Ich verstehe Sinn und Zweck deiner Frage nicht und werde deshalb ’nen Teufel tun, sie zu beantworten. Zu sehr mutet mir diese wie eine Alibi-Frage an, als dass ich glauben könnte, du seiest aufrichtig an meiner Antwort interessiert. Und mehr als eine Antwort auf die Frage, wie sich Altern vollzieht, hast du in deinem langen Artikel ja auch bereits selbst gegeben …

    Wie du mir auf meine Anwürfe/Anmerkungen geantwortet hast, ist wohl deine Art mit Kritik umzugehen. Eine andere wäre möglicherweise gewesen, ausnahmsweise (aber weshalb solltest du eine Ausnahme machen, wenn es keinen zwingenden Grund dafür gibt?) doch mal ein VIELLEICHT zuzulassen: vielleicht hat er ja Recht, vielleicht ist ja ein Körnchen Wahrheit an dem, was er sagt? Du „stimmst mir“ zwar „teilweise zu“, aber nur, um mir ein paar Sätze weiter zu verknusen, dass ich völlig schief gewickelt bin und meine Argumente ad absurdum zu führen.

    Aber es ist okay, wie es ist. Und ich kann die von dir vorgebrachte Kritik an meiner Art zu kommunizieren, gerne so stehen lassen. Ich werde darüber nachdenken, wünsche dir noch einen schönen Abend – und lass‘ dir den Rotwein schmecken; allein oder besser noch in angenehmer Gesellschaft.

    Schönen Gruß
    Peter

  21. @Peter

    Von jemandem, der das Fragen deutlich über das Entscheiden, was falsch oder richtig sei, stellt, hätte ich auf eine an ihn gestellte Frage nun doch eine etwas andere Reaktion erwartet.

    Meine Frage sollte keinerlei Alibi abgeben. Ihr Zweck war selbstverständlich, eine womöglich meinen Horizont ein wenig erweiternde Antwort zu bekommen. Im Sinn hatte ich allerdings auch, damit anzudeuten, daß ich die Behauptung, mit Anfang 30 keine eigenen, praktischen Erfahrungen mit dem Altern zu haben, stark in Zweifel ziehe.

    Ich hatte übrigens nicht vor, Dir zu ‚verknusen‘, Du seist ’schief gewickelt‘. Oder an Deiner Art zu kommunizieren Kritik zu üben. Daß Du diesen Eindruck hattest, bedaure ich sehr.

  22. Nur mal so zwischenrein: ich finde dieses Gespräch und alle, die es ermöglichen, einfach klasse!

    Zum Dissens Peter/Sumuze: klar hat Susanne recht, wenn sie sagt, dass altern lebenslänglich stattfindet. Das kennt ja jeder auf irgend eine Art von sich: ich erinnere mich, das ich mit 13 echt nicht 15 sein wollte, weil „echt schon alt“ – ganz zu schweigen bei Schwellen wie 2o oder 30..

    Und doch gibt es da einen Unterschied, den eben erst die Älteren (ich sag mal: 40plus) von sich aus eigenem Erleben/Erleiden kennen.

    Bei mir hat sich das SO ins Bewusstsein gedrängt: auf einmal hab ich meine Lebenszeit nicht mehr mit „seit…“-Kategorien beschrieben (=seit Abi, seit Studíum, seit Umzug nach Berlin etc.), sonder plötzlich kippte das um in ein seltsam neuartig beängstigendes „bis…“.

    Bis was? Ich war einigermaßen konsterniert über die neue Betrachtungsweise, die ich wahrlich nicht gesucht hatte! Und ich hab als immer schon „prekär“ und selbständig Lebende nicht mal den tröstlich-normalen Bezug „bis zu Rente“.

    Ich realisierte also: es geht um „BIS zum Tod“! Der sich uns im Sinnes des Spekulierens als Reichweite bis zur statistischen Lebenserwartung darstellt.

    Diese „Wende“ hat für mich ein anderes In-der-Welt-Sein mit sich gebracht. Eine ähnliche Wende sehe ich voraus, wenn mir eines Tages die konkrete individuelle „Diagnose“ mitgeteilt wird: noch 6 Monate zu leben… oder so.

    Das sind existenzielle Veränderungen, die wir wirklich wirklich und ganz wahrhaftig NICHT mit dem Intellekt vollziehen, antizipieren, sondern höchstens im nachhinein interpretieren können.

    Insofern trennen sie uns in den verschiedenen Lebensaltern unrettbar und unvermittelbar.

    Gerade DESHALB hab ich dieses Blog aufgemacht und jetzt auch (auf Wunsch) die Altersangabe eingebunden. Wir sind alle Menschen und diese Spezies zeichnet sich durch den Ausgriff auf die rationale Beherrschung des Unmöglichen aus – also auch auf die Möglichkeit, sich zu verstehen, wo es gar nicht möglich ist. :-)

    ***

    @Rosadora: aus meiner Sicht wird „Geschlecht“ mit zunehmendem Alter immer unwichtiger. Hormonell werden Frauen männlicher und Männer weiblicher. Wir werden im besten Fall alle „alte Weise“ – und deren wichtigste Qualifikation ist doch das „Frieden schaffen“. :-) Ganz sicher werde ich also nicht getrennte Diskussionssphären zwischen Männern und Frauen hier etablieren. Dafür bitte ich um Verständnis!

  23. Susannes Frage: „Bist Du Dir ganz sicher, daß jemand 32 Jahre alt werden kann, ohne dabei zu altern?“ kann ICH anstelle von Peter beantworten. Natürlich nein. Schon das kleine Kind altert (Altern vom 1. Tag an, wie Susanne). Als 6-7-Jähriger wusste ich ja schon um Altern und Tod und rechnete mir aus, wieviele Einheiten ich zu der schon gelebten Einheit noch leben werde.

    Wozu Peters konfrontatives Vorgehen gut sein soll, ist mir ein Rätsel. Das führt meist nur zum Abbruch von Auseinanderrsetzungen.
    Claudias Anmerkung:“Insofern trennen sie uns in den verschiedenen Lebensaltern unrettbar und unvermittelbar“ stehe ich skeptisch gegenüber. Der Gedanke, ein 30-Jähriger sollte keinerlei Zugriff auf die Befindlichkeit eines 60-Jährigen haben, leuchtet mir nicht ein.

  24. Ich verstehe Peter.
    Überheblichkeit kann Leute ärgerlich machen.
    Aber nur, wenn sie momentan vergessen, daß Unsicherheit dahinter steht.

    Prost.

  25. Ich, für meinen Teil, fühle mich sehr wohl zwischen jung und alt, zwischen Männlein und Weiblein. Das Modell unserer Gemeinschaft, dass gerade im Alter wieder gerne eingefordert wird, weil es scheinbar nicht mehr existiert. In der Forderung nach Trennung schließen wir wohl einerseits die Anderen aus, aber mehr doch, uns Selbst. Es ist für mich gleich dem Reisen in andere Länder, die den Horziont erweiteren.

    Das ist übrigens ein gelungenes Paradoxon, @Claudia, denn selbst das verstehen, das wir Dinge nicht verstehen, ist ein Verstehen. Und mir ging es in meiner Jugend ganz anders, wie dir. Mit 15, 16 war ich immer neidisch auf die 2 Jahre älteren. Die durften immer mehr und länger ausgeh`n als ich. Die Welt war einfach ungerecht zu mir 

    Meine Tochter, Jahrgang `79, hat als Hebamme in Ghana mehr sterbende Frauen in ihren Armen gehalten, als ich jemals im Leben auf Friedhöfen war. Und junge Soldaten in Afghanistan, Autobomben 5 meter neben sich explodierend sehend, haben vielleicht auch eine andere Erfahrung, als ich im Ohrenbacksessel gemütlich vor dem TV sitzend. Damit meine ich, das Alter nicht ein Gütestempel sein muss, von irgendwelchen Dingen mehr oder weniger zu wissen.

    Nach den Kommentaren bis hierher tendiere ich auch zu der Meinung eines Kommentars, das sich in der Kunst des Alterns die eigene und grundsätzliche Lebensphilosophie wiederspiegelt. Je breiter die Diskussion je eher die Möglichkeit, seine eigene zu erweitern.

  26. Menachem, Du schreibst:
    „Damit meine ich, das Alter nicht ein Gütestempel sein muss, von irgendwelchen Dingen mehr oder weniger zu wissen.“
    Das meine ich auch. Der Gedanke, im Alter hätte ich notwendigerweise eine andere Sicht als ein Junger, beinhaltet für mich oft versteckt den Wunsch, der Verlust der Jugend sei kompensiert durch einige Werte wie etwa ein Mehr an Erfahrung, Gelassenheit oder Wissen, was auch immer.
    Das mag ja in vielen Aspekten so sein, muß es aber nicht.
    Wer sagt denn, um es nochmal aufzugreifen, daß ein Junger all diese Werte oder einige von ihnen nicht hat, bloß weil er jung ist , sozusagen als „Strafe“ für sein Jungsein.

  27. himmel, was geht denn hier ab.
    so habe ich mir das ganze nicht vorgestellt.
    kein alter mensch dabei und die vorwürfe, zurückweisungen, beschimpfungen nehmen kein ende.
    ´Jetzt verrate nur noch, wie viele Flaschen Rotwein von welcher Sorte DICH zu diesem Hirnfick namens “Warum es auch jungen Menschen vor dem Alter grauen kann” inspiriert haben (ganz nüchtern kannst du wohl beim Verfassen desselben nicht gewesen sein!). ´

    ich habe keine lust mehr so herumzu palavern.
    ich steige aus.

    ich kann ja verstehen, claudia, dass du nicht in männlein und weiblein trennen willst und bei einem anderen thema würde ich das auch so sehen.
    aber dein argument mit den hormonen reicht mir eben nicht. es gibt andere wertigkeiten im leben von frauen als in denen von männern. dieses hin- und herjonglieren von gesagtem und nicht anerkennen zu können, dass ein leben nicht ist wie das andere und auch die erfahrungen andere sind, wäre eine möglichkeit, sie auszutauschen und nicht so sehr auf das zu sehen, was werbe- und gesellschaftsmässig abgeht.

    schönen abend noch
    rosadora

  28. @rosadora: Es war von mir nicht beabsichtigt, mit meinem Kommentar jemand zu vergrätzen (Susanne habe ich ziemlich sicher nicht das WE vermasselt; denn sie weiß vermutlich meine Worte einzuordnen und ist – was sich deiner Kenntnis entzieht – selbst auch nicht gerade zimperlich in Sachen „Austeilen“).

    Was dein Ansinnen nach zwischen w & m getrennten Diskussionsforen anbelangt: Konsequent nach deinem Gusto weitergedacht würde das wohl bedeuten, dass man in einem nächsten Schritt dort auch nur Frauen über 70 zulässt und da wiederum nur solche, die ausschließlich wohlwollende Kommentare abgebeben … Du ahnst wahrscheinlich, worauf es hinausliefe: Du bleibst allein – unabhängig davon, ob du dich hier in Claudias Forum nun weiter einbringst oder deine Ankündigung in die Tat umsetzt und „aussteigst“.

    @Gerhard: „Danke“, dass du an meiner statt eine Frage beantwortest. Du scheinst mich ja recht gut zu kennen und genau zu wissen, wie und was ich denke. Aber es ist okay, eine bessere oder wesentlich andere Antwort hätte ich wohl auch nicht gehabt ;-)

    @Uwe: Schön, dass du mir Rückendeckung gibst. Allerdings würde ich mich von dem Attribut „Überheblichkeit“ im Zusammenhang mit Susannes Texten doch gerne distanzieren. S. schwebt wohl ab und an in etwas abgehobenen und für normalsterbliche Dodel wie dich oder mich intellektuell unerreichbaren Sphären, ist aber ansonsten – wovon ich überzeugt bin – ’ne ganz nette und verträgliche Zeitgenossin.

    @Claudia: Danke, dass du diesen Raum hier zur Verfügung stellst. Ich bewundere dein und habe großen Respekt vor deinem langjährig-unverzagten Web-Engagement hinsichtlich Kommunikationsförderung.

  29. Hallo alle,

    ich bedauere außerordentlich, dieser Diskussion grade nicht mehr und intensivere Aufmerksamkeit und Beteiligung widmen zu können: immer noch bin ich mies erkältet, wobei vor allem Schlaffheit und „Matschbirnengefühl“ mich deutlich behindert! Es fällt mir ungewohnt schwer, bzw. gelingt gar nicht, die Komplexität des Gesprächs und alle Meinungen richtig zugeordnet im Kopf präsent zu haben!

    Mit meinem obigen Beitrag wollte ich nichts anderes, als meine eigene Erfahrung berichten: ich altere „gefühlt schubweise“ – wobei das vorher und das nachher eines solchen „Schubs“ (der mit äußerlichem gar Verfall nichts zu tun zu haben scheint) sich massiv unterscheiden können. Kürzlich las ist einen Spruch, der dazu gut passt: 40plus ist das Alter der Jugend, 50plus die Jugend des Alters.

    NATÜRLICH kann jeder in jedem Alter aus der Anschauung, aus Kontakt zu Älteren und aus der Imagination heraus eine Vorstellung vom Alter haben und insofern „darauf Zugriff nehmen“, indem man Meinungen und Vermutungen äußert. Das ist aber etwas ANDERES, als wenn man sich plötzlich selber in der Situation „alt“ (in welchem realen Alter auch immer das erlebt wird) vorfindet.

    Auf einen ähnlichen Unterschied spielt Susanne mit dem Satz an:
    „ich bin rein empirisch noch niemals gestorben“ – und sie leitet daraus eine Art „gefühlte Unsterblichkeit“ ab. Natürlich ist das nicht Realität, aber ein Grundgefühl, ein existenzielles Befinden, dass ANDERS ist als bei demjenigen, dem der Arzt gerade gesagt hat: Sie haben Darmkrebs und sind voller Metastasen – vielleicht noch 3 Monate, vielleicht auch 6.

    Es gibt darüber (aus meiner Sicht) nichts zu streiten – insofern fühl ich mich auch nicht irgendwie angegriffen, wenn es versucht wird. Ich weiß dann einfach: er/sie kann mich nicht verstehen… NOCH nicht! :-)

    @Rosadora: nun sei doch bitte nicht so empfindlich! :-) Es darf schon mal ein bisschen kantig und kontrovers zugehen – und ich sehe auch nicht, dass eine/r der Kontrahenten hier tief betroffen, bekümmert, beleidigt oder verletzt ist, bloß weil mal ein paar fetzigere Sätze fallen! Das „Kreuzen der Schwerter“ macht nun mal einen klirrenden Ton.. aber irgendwie hat man doch Gefallen daran!

    Natürlich ist jedes Leben anders – für mich bezieht sich das auch auf sehr unterschiedliche Männer- und Frauenleben. Und ich kann nur vom eigenen Gefühl ausgehen, dass mir z.B. sowas wie „Geschlechterkampf“ immer unwichtiger wird, je älter ich werde.

    Die Hormone habe ich angeführt, da es wissenschaftlicher Konsens zu sein scheint, dass die jeweiligen Geschlechtshormone im Alter drastisch abnehmen – etwas, das Frauen ja auch erlebend deutlicher mitbekommen als Männer. Und damit einher geht eine Angleichung der Geschlechter, phänotypisch und m.E. auch psychisch geistig. Persönlich erlebe ich letzteres durch einen großen Zugewinn an geistiger Unabhängigkeit von den Haltungen und Meinung der von mir geliebten Männer. Früher waren sie mir auch immer ein bisschen Guru/Welterklärer, doch etwa Mitte 40 verschwand der letzte Rest dieser (teils gar nicht bewusst gewesenen) Bezogenheit.

    Na, ich schweife wieder von Thema zu Thema… die Matschbirne halt! Ich ziehe mich für heute auf die Couch zurück und wünsche allen einen schönen Restsonntag!

  30. Kinders (oder Opis und Omas), was lese ich nur hier!

    Donnerwetter. Das ganze Gerede von der großen Abgeklärtheit und der sanften Veränderung der Perspektive, der gewachsenen Fähigkeit, Menschen und Dinge weise ’so wie sie sind‘ zu nehmen, statt an ihnen manipulativ herum zu doktern – scheint reine Makulatur zu sein!

    In kalter Asche glimmen sie überall noch, die uralten Funken, es zucken die ermattet scheinenden Sehnen und Muskeln auch unter der faltigsten Haut. Das angegrauteste Haar stellt sich immer noch borstig zu Berge und die rissigsten Lippen schleudern mit Verve die bissigsten Laute hinaus ins Land.

    Das gefällt mir!

    Die Ruhe abgeklärt nickenden Einverständnisses, das Gemurmel gelassen geteilter Meinungen, die Friedlichkeit des gnädigen Laissez-faire-laissez-allez – das alles erweist sich in der Tat als Falschgeld und flunkernde Münze.

    Wie schön!

    Auch die Vereinnahmung gelingt nicht so recht. Das Ick-bün-all-dor, das über den Abgrund der Jahrzehnte hinweg die andere, die ferne, die jüngere Seite für sich als immer schon gehabt (wenn auch im für andere nicht nachzuvollziehenden Damals des sanften Erinnerns) reklamieren will, klappt auch nicht so recht.
    Gut! Das ermöglicht doch wenigstens weiteres Fragen (was ja ein Zeichen von Klugheit und Interesse und überhaupt ganz prima sein soll).

    Frage ich also einmal weiter.

    Sind Alterungsprozesse womöglich nichts anderes als solche einer spezifischen sozialen Isolation. Ein langsam vor sich gehendes Abschotten in kohärente Zirkel der einander Wohlmeinenden und in Ruhe Lassenden?

    Bilden sich nicht auf verzweifelten Rückzugsmärschen eine Menge von Wagenburgen, Clübchen und Banden, Schulen und Horden, Cliquen und Rotten? Verteidigt von Alten, die in Igelstellung gehen zwecks Bewahrung der letzten Schätze, die ihnen die unbarmherzige Zeit mit jedem Tag mehr und mehr raubt?
    Und wird aus diesen Zwingburgen längst verlorener und vergangener Epochen heraus dann nicht wild und in Gestalt des Besser- und Genauer- und Schon-Immer-Wissens auf jeden gefeuert, der draußen munter trällernd herum läuft und nicht drinnen sein Süppchen kocht?

    Ich bin gespannt auf mögliche Antworten (auch darauf, ob überhaupt welche kommen) auf diese meine ziemlich nebulösen Fragen!

  31. Liebe Susanne,
    Das hast Du ja poetisch-lyrisch ganz schön hingeträllert und ich bewundere dieses aus meinem dunklen Horst, wo ich dorten mangels in ach so jungen Jahren nicht erworbenen feinmaschigen-Sprachgebrauchs nicht mit gleicher Münze zurücküberweisen kann. Da ich eher also einer bin, der mehr profan-sachlich mit Sprache ( so sie sich so nennen kann, in meinen derb-alten Klauen), hervortreten kann, kann ich nur dieses Folgende anbieten zur gnädigen Lektüre:
    „Die Ruhe abgeklärt nickenden Einverständnisses“, die mag eine Wahl der Wahl sein, wenn man altersmässig schon weit fortgeschritten ist, sozusagen um Frieden zu schliessen. Eine solche Ruhe kommt mit dem Altern tatsächlich in einigen Punkten gratis vorbei, in anderen aber definitiv nicht. Und so muß man nicht auch die Parzellen der Ungeduld, der Erregung und der Unzufriedenheit auch noch ganz aus dem Leben bannen müssen, um richtig rund zu werden. Daher: Eine Bloggemeinschaft betreiben wollen oder gerne sehen, in dem friedliche Altersübereinkünfte geschehen sollen, das wäre in der Tat eine zentnerschwere Friedlichkeit, eine, die nicht weiterbringen kann.
    Damit wäre auch Deine Frage, liebe Sumuze, aus meiner vereinzelten Sicht beantwortet: „Ein langsam vor sich gehendes Abschotten in kohärente Zirkel der einander Wohlmeinenden und in Ruhe Lassenden“ – mitnichten – nein! So nicht!
    Und zur Gestalt des „ Besser- und Genauer- und Schon-Immer-Wissens“: Da bewahre uns auch davor.
    Ich hatte vor etwa 30 Jahren, zu Zeiten meines Grundwehrdienstes, mal bestimmte Heftromane gelesen, in denen einer der Helden schon einige Hunderte Jahre auf dem Buckel hatte. Ich fand ganz gut, daß er sich kaum mehr an eine heftige Story -mit einer Frau natürlich – erinnern konnte, die ihm in jungen Jahren nachhaltig zugesetzt hatte . Die Erinnerung kam vorbei, weil sie durch einen bestimmten Vorfall aktiviert wurde, sonst wäre sie nicht gekommen. Nun war dieses sehr einschneidende Erlebnis schon ganz verblichen, in seiner Form schon vielfach innerlich umgemodelt worden und außerdem hatten sich hunderte weitere Dinge darübergelegt, ein jedes mit einer gewissen Schwere und Bedeutung, sodaß die Schärfe des damals Erlebten völlig verschwunden war und nurmehr zu einer schwachen Erinnerungs-Anekdote wurde. Aber der Schmerz war dennoch noch abrufbar, das war gut, ging es ja um zutiefst Menschliches, aber wozu sich weiter daran halten? Es türmten sich ja immer wieder neue und fordernde, in der Jetztzeit drängende Dinge an ihn heran, die ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger waren als das damals so unsäglich Schmerzliche. Und die Jahrhunderte gingen ja weiter ins Land.
    Danke.
    P.S.: Den Jahrgang können wir doch wieder rausnehemen, Claudia, oder nicht?!

  32. In deinem Beitrag oben, Susanne, plädierst du für:
    „uns dem Altern gegenüber aufgeschlossener, freundlicher, insgesamt halt positiver geben. Bis wir es eines Tages „vielleicht sogar“ tatsächlich sind. Gewohnheit schafft Tatsachen.“
    Bis wir es dann aber eines Tages sind, ist alles Makulatur. Und mir scheint, du traust der Sache selber nicht, was ich auch aus dem „vielleicht sogar“ so für mich herauslese. Das wirft aber eine grundsätzliche Frage auf, ob das „so tun als ob“ überhaupt eine Alternative ist?

    Das sehe ich aber nicht als spezifische Frage des Alters, sondern diese kann ich mir in jedem Alter stellen, wenn es um Veränderungen geht.
    Und so empfinde ich auch deine anderen Fragen nicht als spezifische Fragen des biologischen Alters, sie können alle mit „Ja“ zu jeder Lebenszeit beantwortet werden.
    Die Tatsache an sich, das Wagenburgen gebildet werden, wird nicht durch „verzweifelte Rückzugmärsche“ in diesem Kontext hier eine rein altersspezifische. Das könnte genau so von Männerentäuschten Feministinnen geschrieben sein, und dann kann das Statement sogar wortlich übernommen werden und es passt.

    Bezogen auf das „ganze Leben ist Altern“ stellt sich mir dann die Frage, ob sich überhaupt etwas grundlegendes verändern kann. Wobei Fakt ist, das mit zunehmenden Alter sich die Lebenserfahrungen vermehren. Ob diese dann erweitertes oder verändertes Denken und Verhalten einfliessen, ist vielleicht mehr eine Typ- als eine Altersfrage.

  33. @Susanne
    Ja, auch. Aber nicht immer. :)

  34. @Susanne: Gut gebrüllt, Löwin!

    Man sieht, dir sitzt der Schalk im Nacken, du hast Freude am „hellen Klang, den das Rasseln der Klingen erzeugt“ (Zitat Claudia), was den Rückschluss nahe legt, dass es dir gut gehe – und was wiederum anderen zu gefallen scheint.

    Interessant finde ich ja die Psychodynamik, die hier abgeht: Eine junge Hupferin wirft mit leichter Hand und spitzer Zunge ein paar Nonsensfragen („nebulös“) in den Raum, und eine Hand voll älterer Männer (mich selbst nicht gänzlich ausgeschlossen) eilt sogleich dienstfertig herbei, um diese nach Kräften und (Lebens-) Erfahrung zu beantworten; ohne dabei in der Mehrzahl erstens die den Fragen inne wohnende Ironie zu bemerken und zweitens zu registrieren, dass dir die Themen Alter und Altern und was andere dazu denken und sagen – wie nach all deinen bisherigen Einlassungen und Nichterwiederungen auf Kommentare hierzu zu vermuten – hundert Kilometer am Allerwertesten vorbei gehen.

    Und woraus sich folglich Fragen wie diese ergeben: Was hast du, das andere nicht haben, aber anscheinend gerne hätten und das sie so prompt auf dich reagieren lässt? Ist es Jugend, Intelligenz, Schönheit, Sprachgewandtheit, all das oder nichts davon? (Wobei, was die Sprache anbelangt, @Gerhard „stark im Kommen“ ist und dir, wenn du nicht aufpasst, wohl bald den Rang ablaufen wird ;-) .

    Grüße aus der Wagenburg
    Peter

  35. Mir ist es lieber, wenn in einer Diskussion zwischen Menschen, die füreinander eher anonym sind, sich die Beiträge deutlicher dem Thema widmen statt den individuellen Vorzügen und Mängeln einzelner Diskutanten. Und falls hier überhaupt irgend eine Psychodynamik abläuft, dann lediglich in den Köpfen derjenigen, die sie sich einbilden. Ansonsten lese ich an dieser Stelle vor alem Beiträge, die sich bemühen, auf andere Beiträge (wie nebulös oder provokant oder albern oder wie auch immer diese nun ausfallen mögen) einzugehen.

    Daß dabei nicht jeder Punkt wieder aufgegriffen und jede Frage zu Ende durchdacht oder beantwortet bleibt, empfinde ich als nicht weiter schlimm. Niemand gibt hier den Oberwisser oder den Diskussionsleiter oder den Guru, und das ist sehr gut so. Auch wenn ich den zur Diskussion Anlaß gebenden Text verfaßt habe, sehe ich meine Aufgabe keineswegs darin, auf alles, was danach gesagt wird, eingehen zu müssen. Dazu habe ich weder die Zeit noch die Fähigkeit noch die Lust. Und ich sehe hier auch kein Wettrennen um Preise für sprachliche, intellektuelle oder humorige Bestleistungen. Oder um die zutreffendste Vermutung über die Befindlichkeit anderer Personen.

    Eine Diskussion muß weder bierernst noch auf Samtpfoten erfolgen. Dennoch betrachte ich die Wahrung einer gewissen Distanz zueinander als zugleich angenehm und förderlich. Provokation in der Sache wiederum ist in meinen Augen etwas ganz anderes als ein Herumstochern in mutmaßlichen Motiven, das (um am Ende nun doch auch selbst einmal ‚auszuteilen‘) in meinen Augen mehr über den Stochernden als die Bestocherten aussagt.

  36. Nun mag jeder deinen letzten Kommentar anders aufnehmen, @Peter, bei manchen wird es gerade mal zu einem müden Lächeln reichen. Jeder hat eine andere Befindlichkeit. Da ich mich aber als Adressat auch angesprochen fühle, möchte ich mich dazu äußern.

    Ich kenne aus blogs und Kommentaren „Angriffe“ jeder Art. Da kann man sich wehren oder die Waffen strecken. Ich kenne „Haß“, auch dem kann man sich bis zu einem gewissen Grad stellen. Machtlos fühle ich mich gegen „Verachtung“ – die mich aus deinen Worten treffen. Dabei habe ich nicht den Eindruck, das dies aus Unüberlegtheit oder falscher Wortwahl geschieht, sondern gezielt in dem Wunsch der tiefen Verletzung.

  37. Du hast es auf den Punkt gebracht, Susanne. Wir sollten am Thema bleiben: Das kann durchaus auf verschiedene Weise erfolgen,aber chatten möchte ich hier nicht.

  38. @Susanne: Zu deiner Kenntnisnahme sei gesagt: eine Psychodynamik findet überall dort statt, wo Menschen in irgend einer Form miteinander oder gegeneinander interagieren; und sei diese Form auch noch so distanziert oder seien sich die Beteiligten einander auch noch so wesensfremd.

    Den Beweis, dass das so ist, erbringst du selbst mit deiner etwas pikierten Reaktion auf meinen Kommentar. Du kannst dir „in deinem Kopf zwar einbilden“, die Naturgesetze oder die des menschlischen Zusammenlebens außer Kraft setzen zu können, indem du dir beispielsweise einredest, du seiest „unsterblich“, nicht aber in der Realität.

    Und du beteuerst für meinen Geschmack hier etwas zu oft, dass es dir nur um die sachliche Dimension der hier zur Sprache gebrachten Themen ginge und um nichts anderes. Sorry, dass ich so deutlich werden muss, Susanne, aber das ist Bullsheet, das stinkt gen Himmel. Denn wenn dem so wäre, wie du vorgibst, dann hättest du in deinem letzten Kommentar nicht nur dein angekratztes Ego gesehen und wärest bemüht gewesen das Bild, das du von dir hast, wieder gerade zu rücken; sondern du wärest wenigstens in einem einzigen kleinen Halbsatz auf das eingegangen, was Menachem und Gerhard zur Beantwortung deiner Fragen (ob nebulös oder nicht, sei dahingestellt) geschrieben haben, und das wirklich sachlich und engeagiert.

    Niemand verlangt ernsthaft von dir, auf alles, was in Folge deiner Postings geschrieben wird, einzugehen. Aber ab und zu mal ein „Danke“ oder ein Signalisieren des Einverständnisses mit dem Gesagten, würde dich in meinen Augen glaubhafter machen. Statt dessen kommt es mir so vor, dass du dieses Forum überwiegend dazu benutzt, um dich literarisch zu produzieren und dich anschließend im Beifall der anderen Beteiligten (der dir fast immer gewiss ist) zu sonnen. Soviel zum Thema eingebildete oder tatsächliche Psychodynamik.

    @Menachem: Dass du dich durch meinen Kommentar so angegriffen und verletzt fühlst, überrascht mich sehr. Ich weiß nicht, in welche offene Wunde ich da bei dir unbeabsichtigt hineingepiekst habe, dass du dich durch meine Worte angegriffen und verachtet siehst???

    Ich musste lediglich darüber schmunzeln, dass hier in diesem Forum zwei Tage Funkstille herrschte, und nachdem dann Susanne ein Posting reingestellt hatte, binnen Stunden die komplette männliche Belegschaft „wieder auf der Matte stand“. Das war der Hintergrund und die Botschaft meines Postings, und nicht Hass und Verachtung, wie du vermutest. Und wenn du meine Zeilen aufmerksam gelesen hast, wird dir nicht entgangen sein, dass ich mich selbst lediglich insofern ausgeschlossen habe, als dass ich mir nicht von S. einen Ring durch die Nüstern habe ziehen lassen, sondern gewissermaßen freiwillig mitgetrottet bin.

    Deine bisherigen Beiträge hier in diesem Forum (und in Claudias Diary-Blog) hab ich als kompetent und sachlich wahrgenommen; dich als einen sehr höflichen, für meinen Geschmack lediglich ein wenig zu sehr darauf, niemandem zu nahe zu treten, bedachten Menschen. Und manchmal schwingt in deinen Zeilen so etwas wie Resignation mit. Also, alles in allem keinerlei Grund oder Anlass für das von dir Vermutete. Ich glaube (kann mich aberr auch irren), Menachem, dass du irgendwann in deinem Leben sehr enttäuscht wurdest und deshalb so hypersensibel reagierst. Dass meine Art von Humor nicht jedermann (und jede Frau) teilt/teilen muss, leuchtet mir ein; dass er aber derartige emotionale Befindlichkeiten wie bei dir jetzt auslöst, kann ich nicht ganz nachvollziehen.

    Gruß, Peter

  39. Aus einem anderen Zusammenhang, aber hier mir gut herein zu passen scheinend, diese Bemerkung (ich versuche, möglichst wörtlich zu zitieren):

    Warum nur versuchen so viele Menschen, das, was sie glauben zu sein und zu leben, immer und jedermann gegenüber als ‚gut‘ oder wenigstens als ‚gut gefühlt‘ zu verkaufen? Wieso ist Jammern verpönt? Das sich Beschweren und sich Ärgern?

    Der Zusammenhang war zwar kein Alters-spezifisches Thema, aber ich bezog es gerne und sofort eben darauf.

    Nämlich so: Woher kommt dieser Zwang, den ich, wenn ich erst einmal aufmerksam geworden bin, bei so vielen Menschen beobachte. Nämlich ihren aktuellen Zustand (körperlich, sozial, finanziell und überhaupt) als ’sehr zufriedenstellend‘ hinzustellen? Wieso wollen sich so viele Menschen derart darstellen?

    Ist der Unzufriedene, der Jammernde, der an allem herum Meckernde etwa der moderne Antichrist, das Ä-Bäh all der Schönen und Tollen?

    Auf’s Alter bezogen: warum finden sich Menschen, die frank und frei sagen, das Altern sei einfach nur Scheiße, erst in Kohorten weit jenseits der 90? Genauer finde nur ich sie nur dort, das sei zugegeben. Und mein Zugang ist sicherlich keine gute Imitation einer Zufallsauswahl. Ein Manko, das ich allerdings mit jeder empirischen Herangehensweise moderner Sozialforschung teile, weswegen ich einfach frech bei meiner Behauptung bleibe!

    Ich habe mich selbst einmal daraufhin angeschaut. Ja, auch ich empfinde einen sanften Drang, mich und mein aktuelles Dasein stets als ‚gut und zufriedenstellend‘ herzuzeigen. Wenn ich jammere, fühle ich mich schuldig, oder zumindest doch irgendwie falsch. Und muß mich daher dann salvierend vom Gros der ‚beautiful people‘ abgrenzen, etwa qua Verstand oder (Schande auf mein Haupt) qua Geld.

    Woher dieser Druck?
    Warum kann ich nicht voller Stolz und Freude mit meinem Dasein unzufrieden, ob meiner Lebensumstände unglücklich, von meinen Zukunftsaussichten verängstigt, dank meiner Sehnsüchte verbohrt und insgesamt wegen einfach allem und jedem vergrämt sein?
    Ich wäre vielleicht ganz gerne so eine grantelnde Person, der nichts recht ist und die an allem etwas auszusetzen hat, insbesondere sich selbst. Vielleicht wie eine Hexe, die sich ein Süppchen aus allem kochen möchte, das nicht so mies ist, wie sie sich selbst sieht. Mißgünstig wie von Balzac erfundene Gestalten, bösartig wie Dickens Prototypen und gemein wie die, mit der keine spielen will.
    Vielleicht, weil ungeschmeidig zu sein wenigstens den einen Vorteil hat, sich nicht unentwegt verbiegen zu müssen und X nicht als U loben zu müssen. Ich weiß es nicht, aber so in diese Richtung würde ich doch recht munter vermuten.

  40. Liebe Susanne,
    Du schreibst:
    „Warum kann ich nicht voller Stolz und Freude mit meinem Dasein unzufrieden, ob meiner Lebensumstände unglücklich, von meinen Zukunftsaussichten verängstigt, dank meiner Sehnsüchte verbohrt und insgesamt wegen einfach allem und jedem vergrämt sein?“

    Wie kann man Stolz und Freude empfinden, wenn es einem schlecht geht? Weil mich das einzigartig macht, mein ganz besonderes Potpourie an Schmerzen und Kümmernissen??
    Stolz und Freude könnte ich nur darüber empfinden, wenn ich gleichzeitig über meinen Kümmernissen stehen würde: Seht her, ich habe den „Hinkefuß“: Ist zwar nicht schön, aber meins…und al zu sehr werde ich auch nicht davon gefangen.
    Wenn ich also meine Sorgen gleichsam als Kopftheater empfinde. dann wäre ich ja auch schon wieder frei.

  41. Hallo Ihr Lieben,

    von der „Ruhe abgeklärt nickenden Einverständnisses“ kann zumindest in dieser Diskussion nicht ernsthaft die Rede sein! :-)

    Dass Susanne keinen Bock hat, Spekulationen über ihre Motive und Wirkungen in so einem Gespräch zu besprechen, verstehe ich – das wär mir auch zu egozentrisch, egal, obs das Ego nun ankratzt oder in den Himmel hebt!
    Ich empfinde Susannes Beiträge einerseits als sehr „literarisch“ – auf eine Art, die mir gefällt und mich nicht langweilt. Was da alles als gemeinte oder nur so gelesene Provokation drin steckt, verlebendigt die Diskussion und inspiriert zum weiter schreiben – z.B. waren ihre Sätze zum Thema „wieder jung sein wollen“ und ihr Unverständnis, was ich konkret mit „Identität und Alter“ meinte, Anregung für den Folgeartikel „Von Körper und Geist, Identität und Alter“, in dem ich das hier ja nur ganz kurz tangierte Thema länger ausgeführt habe.

    @Menachem: eine Verletzungsabsicht und gar Verachtung hab‘ ich in Peters Kommentar nicht erkennen können. Eher eine spekulative Witzelei über mögliche Psychodynamiken, durchaus ein bisschen stichelnd – aber doch gegenüber niemandem wirklich feindselig!

    Zu Susannes Frage:

    „Warum kann ich nicht voller Stolz und Freude mit meinem Dasein unzufrieden, ob meiner Lebensumstände unglücklich, von meinen Zukunftsaussichten verängstigt, dank meiner Sehnsüchte verbohrt und insgesamt wegen einfach allem und jedem vergrämt sein?“

    Das kannst du nicht ernst meinen, denn woher sollten denn da „Stolz und Freude“ kommen? Vermutlich haben wir alle Alte gekannt, die total verbittert und rechthaberisch an nichts ein gutes Haar lassen, die entweder über alles schimpfen oder nur noch jammern. Die sind nicht nur selber unglücklich, sondern versuchen auch, ihre miesen Stimmungen auf alle zu übertragen, die sich auf Rede-Distanz heran trauen – was alsbald dann kaum noch jemand leisten mag, woraus wiederum Isolation und Einsamkeit = noch mehr Unglück resultieren.

    Ist es nicht sehr verständlich, nicht SO werden zu wollen? Wir sind durchaus in der Lage, unsere Aufmerksamkeit zu lenken – wobei das natürlich immer schwerer wird, wenn z.B. große Schmerzen auftreten. Das aber ist doch eher der Ausnahmezustand, auch im Alter.

    Wir tun gut daran, uns um bewusste Wachheit zu bemühen – und das heißt für mich: bloß nicht an irgendwelchen eigenen Zipperlein geistig kleben zu bleiben, nicht in schwarz-weiß-Denken zu verfallen (früher war alles besser…) und auch immer das Gegenüber, sein Befinden und seine Interessen im Blick zu behalten. Kurzum: Im Hier und Heute DA SEIN, vielerlei Aspekte wahrnehmen – und nicht auf „jammern und schimpfen“ als Standardverhalten einzuklinken. Dann ist man nämlich für Andere eine Last – und für sich selber auch!

  42. Administrative Bemerkung: Man kann die Kommentare jetzt mit einem Kommentar-Feed verfolgen. (Der Link steht unter dem Artikel).

  43. @Gerhard: Du stellst die Frage: „Wie kann man Stolz und Freude empfinden, wenn es einem schlecht geht?“

    Das weiß ich nicht, aber ich weiß auch nicht, ob’s nicht doch geht. Vor allem weiß ich nicht, ob es verboten oder unmöglich oder unangenehm oder so etwas ist. Außerdem glaube ich, daß es viel mehr Menschen auf dieser Erde nach meinen Kriterien schlecht geht, als es Menschen gibt, denen es danach gut ginge. Sollen die alle ohne Stolz und Freude leben?

    @Claudia: Du stellst die Frage: „woher sollten denn da ‚Stolz und Freude‘ kommen?“

    Darauf würde ich wie oben antworten – ich weiß es nicht. Aber ich sehe auch keinen Grund, wegen dem nur die Zufriedenen, Glücklichen, Angstfreien usw. Stolz und Freude empfinden sollten.

    Was mich zu meiner sicherlich sehr überzogenen Frage provozierte, war eine Diskussion über Gewinnen und Verlieren und Zufriedenheit und Glück und die Rolle der Adaption dabei. Genauer über die Brüchigkeit der Anheftung von Glück ans Gewinnen (nicht nur ökonomisch gesehen als Haben, sondern auch als Sammeln, Ergattern, Schaffen usw.) und der Einwand, ob nicht, da Adaption immer von beiden Seiten (Soll an Ist oder Ist an Soll) her bestimmt werden kann, Glück sich aus vielleicht sehr fern liegenden Quellen speisen kann, die mit den für uns gängigen Kriterien (ein selbstbestimmtes, gedanklich gut durchdrungenes, moralisch akzeptables, in sich ruhendes, gelassenes, aber dennoch nicht ganz ohne Aufregungen dahin plätscherndes Dasein als geschmacklich sich selbst akzeptabel vorkommende Person in manchmal lockerer, manchmal engere Begleitung ähnlicher Personen usw.) nicht viel am Hut haben.

    Konkreter: kann auch ein bewegungsloser, sprachloser, sabbernder, inkontinenter Körper so etwas wie Stolz empfinden? Und wenn, dann Stolz auf etwas anderes als die bloß gedankliche Simulation eines Körpers, den all das eben nicht auszeichnet bzw. brandmarkt?

  44. @Sumuze: Selbstverständlich gehöre ich zur Mehrheit der Menschen, die von Kümmernissen geplagt sind.
    Stolz bin ich darauf nicht! Stolz bin ich eher auf die Phasen/Momente, in denen ich aufblühe, in denen ich sorgenfrei oder einfach nur da bin.
    Insofern lebe ich nicht ohne Stolz und Freude.
    Deine Frage: „Sollen die alle ohne Stolz und Freude leben?“ beantworte ich daher: „Natürlich nicht!“