Wer bin ich? Bin ich „Seele“, die in einem Körper wohnt und erstaunt oder erschrocken bemerkt, wie dieser langsam aber sicher altert? Diese uralte, aber gleichwohl immer noch als wahr „gefühlte“ Sicht der Dinge lässt uns glauben, wir könnten – mal angenommen eine gute Märchenfee würde uns das anbieten – eine solch‘ wundersame Verjüngung des Körpers verlustfrei überstehen. In den Geschichten vom „Jungbrunnen“ findet sich diese Idee ebenfalls: von jetzt auf gleich wieder zwanzig oder dreißig sein – wäre das nicht toll?
Angenommen, die Märchenfee würde mir tatsächlich erscheinen: mit meinem heutigen Bewusstsein würde ich das Angebot wohl abschlagen – es sein denn, ich litte große Schmerzen, wäre unrettbar krank und gebrechlich. (Mit der eigenen Schwäche muss man ja immer rechnen).
Ich bin der Körper, ich „habe“ ihn nicht nur
Warum? Weil ich nicht mehr glaube, dass meine Seele nur im Körper wohnt. Weil ich weiß und jeden Tag erlebe, dass ich (auch) der Körper bin. Morgens kann ich z.B. sehr gut schreiben: es fällt mir viel ein, die Sätze fließen mühelos in die Tasten. Spätnachmittags wird das zäher und eher mühsam – ein kreatives Tief, die Energie ist irgendwie weg. Tageszeiten, Jahreszeiten, Krankheiten, jede Veränderung des Körperbefindens einschließlich derjenigen, die man dem Altern zurechnet, verändert mich – nicht nur „den Körper“.
Würde ich von jetzt auf gleich in meinen eigenen Körper von vor dreißig Jahren katapultiert, wäre ich nicht mehr ich selbst. Die Wachstumskräfte hätten mich wieder im Griff, ganz zu schweigen vom hormonellen Zirkus! Psychisch würde ich dem entsprechend wieder mehr nach außen schauen, wäre voller Ehrgeiz und Begehren: die Welt erobern, meinen Einflussbereich vergrößern (Stichwort: Freiheit!), Macht und Unabhängigkeit gewinnen, beim anderen Geschlecht gut ankommen und vieles mehr. Und ich hätte auch wieder die Angst, all das nicht so zu schaffen, wie ich es mir wünsche: Angst, zu versagen, Angst, nicht genügend anerkannt zu werden… der ganze Stress der Jugend wäre wieder da.
Mit 26 hab‘ ich all das als normal erlebt und gar nicht bemerkt, dass die Heftigkeit der eigenen Wünsche und Vorstellungen meine Wahrnehmung der Außenwelt und anderer Menschen deutlich beschränkte. Geduld und zuhören, genauer hinschauen, mehrere Dimensionen und Standpunkte erkennen – all das war nicht meine Sache! Gut so, denn die jungen Jahre sind dafür da, die Welt zu verändern und den eigenen Platz in ihr zu finden. Aber dahin zurück? Lieber nicht!
Schwäche macht sensibel und verändert die Wahrnehmung
Auch die langjährige Yoga-Praxis hat mir deutlich gemacht, wie sehr Geist und Bewusstsein mit der körperlichen Verfassung zu tun haben. Ich erkannte, dass das bedauerliche Schwächeln, das mit dem Altern einher geht, gleichzeitig auch die Voraussetzung einer anderen Wahrnehmung ist: wer schwächer ist, ist empfindlicher und bekommt subtilere Eindrücke mit. Mein jetziger Körper könnte keine Nacht mehr „durchmachen“, ohne danach zwei, drei Tage fürchterlich zu leiden. Doch anders als früher kann mich das Auftauchen der Sonne an einem bewölkten Tag in Ekstase versetzen – und von einem Menschen, mit dem ich zehn Minuten zusammen bin, weiß ich heute zehnmal mehr als ich mit 26 hätte bemerken können.
Deshalb hätte ich große Angst, der Märchenfee zu begegnen. Angst vor der eigenen Schwäche, aus purem „länger leben wollen“ das Angebot anzunehmen – und dadurch mich selbst zu verlieren. Das, was ich geworden bin, was jedoch untrennbar mit dem gealterten Körper zusammen hängt.
Susanne hat in ihrem Gastartikel zur Kunst des Alterns ein wenig über Menschen gespöttelt, die behaupten, nie wieder jung sein zu wollen:
Ich denke dabei sofort an Gespräche mit älteren Menschen, die dir im Brustton der Überzeugung versichern, daß sie ‘NIE WIEDER SO JUNG’ sein wollen. Wobei ‘JUNG’ dabei nur ein Platzhalter für eine gerade zur Debatte stehende Altersstufe ist. Oft ist das die Pubertät oder die Schul- bzw. Studienzeit oder die Zeit der Berufsfindung. Meistens sind Menschen, die so etwas sagen, noch nicht so alt, daß sie sich als ganz aus dem Rennen (Beruf, Gesellschaft oder Sex) befindlich sehen. Andererseits meinen sie in der Regel, durchaus ‘ETWAS’ erreicht zu haben im Leben (Urlaub und Freizeit, Haus und Wagen, Kleidung und Manieren, nicht zuletzt Bekannte und Freunde beweisen ihnen das). Weswegen ihre Aussage, nie wieder so jung sein zu wollen, für mich nur das eine bedeutet: daß sie das Risiko scheuen, noch einmal zum Rennen antreten zu müssen. Was ja durchaus mit einem der hinteren Plätze ausgehen könnte.
Vermutlich gehöre ich zu jenen, die Susanne als „noch nicht ganz aus dem Rennen“ beschreibt – einfach durch Zugehörigkeit zur Generation 50plus. Nur dass ich mein Leben jetzt schon nicht mehr als „Rennen“ empfinde und auch nicht wieder in diesen Status geraten möchte.
Die Werte ändern sich
Die zweite Vermutung halte ich für abwegig, denn die genannten „Werte“ sind eben NICHT die Werte des Alters, sondern die Status- und Besitz-Werte der Jugend und des mittleren Alters (mein Haus, mein Konto etc.). Und selbst, wenn man ihnen auch später noch anhinge, so wäre es doch absurd, mit dem Wissen und der Erfahrung als älterer Mensch zu fürchten, beim „nochmal antreten“ zu versagen. Wie oft hört man doch ganz im Gegenteil: ach, hätte ich das damals schon gewusst, gesehen, erkannt, dann hätte ich ganz anders und viel erfolgreicher agieren können!
Nun, die Märchenfee wird nicht erscheinen und mich in Versuchung führen. Statt dessen bemüht sich ein neuer Wirtschaftszweig um die technisch vermittelte „Verjüngung“ all jener, die meinen, es gäbe kein lohnenswertes Leben in einem sichtbar alternden Körper.
Da die Preise sehr gesunken sind, könnte ich mir sogar die eine oder andere Schönheits-OP leisten. Weg mit den Falten, gestraffte Lieder – ich könnte glatt zehn Jahre „gut machen“. Aber wofür? Dazu will mir partout nichts einfallen. Und mein Liebster mochte schon die „5 Jahre weniger“ nicht, die mir eine Kosmetikerin kürzlich mal experimentell (und kostenlos) weggeschminkt hat. So konnte ich mir den Schmodder im Gesicht erleichtert wieder abwaschen!
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7 Kommentare zu „Von Körper und Geist, Identität und Alter“.