Claudia am 01. Februar 2011 —

Von Körper und Geist, Identität und Alter

Wer bin ich? Bin ich „Seele“, die in einem Körper wohnt und erstaunt oder erschrocken bemerkt, wie dieser langsam aber sicher altert? Diese uralte, aber gleichwohl immer noch als wahr „gefühlte“ Sicht der Dinge lässt uns glauben, wir könnten – mal angenommen eine gute Märchenfee würde uns das anbieten – eine solch‘ wundersame Verjüngung des Körpers verlustfrei überstehen. In den Geschichten vom „Jungbrunnen“ findet sich diese Idee ebenfalls: von jetzt auf gleich wieder zwanzig oder dreißig sein – wäre das nicht toll?

Lukas Cranach: der Jungbrunnen

Angenommen, die Märchenfee würde mir tatsächlich erscheinen: mit meinem heutigen Bewusstsein würde ich das Angebot wohl abschlagen – es sein denn, ich litte große Schmerzen, wäre unrettbar krank und gebrechlich. (Mit der eigenen Schwäche muss man ja immer rechnen).

Ich bin der Körper, ich „habe“ ihn nicht nur

Warum? Weil ich nicht mehr glaube, dass meine Seele nur im Körper wohnt. Weil ich weiß und jeden Tag erlebe, dass ich (auch) der Körper bin. Morgens kann ich z.B. sehr gut schreiben: es fällt mir viel ein, die Sätze fließen mühelos in die Tasten. Spätnachmittags wird das zäher und eher mühsam – ein kreatives Tief, die Energie ist irgendwie weg. Tageszeiten, Jahreszeiten, Krankheiten, jede Veränderung des Körperbefindens einschließlich derjenigen, die man dem Altern zurechnet, verändert mich – nicht nur „den Körper“.

Würde ich von jetzt auf gleich in meinen eigenen Körper von vor dreißig Jahren katapultiert, wäre ich nicht mehr ich selbst. Die Wachstumskräfte hätten mich wieder im Griff, ganz zu schweigen vom hormonellen Zirkus! Psychisch würde ich dem entsprechend wieder mehr nach außen schauen, wäre voller Ehrgeiz und Begehren: die Welt erobern, meinen Einflussbereich vergrößern (Stichwort: Freiheit!), Macht und Unabhängigkeit gewinnen, beim anderen Geschlecht gut ankommen und vieles mehr. Und ich hätte auch wieder die Angst, all das nicht so zu schaffen, wie ich es mir wünsche: Angst, zu versagen, Angst, nicht genügend anerkannt zu werden… der ganze Stress der Jugend wäre wieder da.

Mit 26 hab‘ ich all das als normal erlebt und gar nicht bemerkt, dass die Heftigkeit der eigenen Wünsche und Vorstellungen meine Wahrnehmung der Außenwelt und anderer Menschen deutlich beschränkte. Geduld und zuhören, genauer hinschauen, mehrere Dimensionen und Standpunkte erkennen – all das war nicht meine Sache! Gut so, denn die jungen Jahre sind dafür da, die Welt zu verändern und den eigenen Platz in ihr zu finden. Aber dahin zurück? Lieber nicht!

Schwäche macht sensibel und verändert die Wahrnehmung

Auch die langjährige Yoga-Praxis hat mir deutlich gemacht, wie sehr Geist und Bewusstsein mit der körperlichen Verfassung zu tun haben. Ich erkannte, dass das bedauerliche Schwächeln, das mit dem Altern einher geht, gleichzeitig auch die Voraussetzung einer anderen Wahrnehmung ist: wer schwächer ist, ist empfindlicher und bekommt subtilere Eindrücke mit. Mein jetziger Körper könnte keine Nacht mehr „durchmachen“, ohne danach zwei, drei Tage fürchterlich zu leiden. Doch anders als früher kann mich das Auftauchen der Sonne an einem bewölkten Tag in Ekstase versetzen – und von einem Menschen, mit dem ich zehn Minuten zusammen bin, weiß ich heute zehnmal mehr als ich mit 26 hätte bemerken können.

Deshalb hätte ich große Angst, der Märchenfee zu begegnen. Angst vor der eigenen Schwäche, aus purem „länger leben wollen“ das Angebot anzunehmen – und dadurch mich selbst zu verlieren. Das, was ich geworden bin, was jedoch untrennbar mit dem gealterten Körper zusammen hängt.

Susanne hat in ihrem Gastartikel zur Kunst des Alterns ein wenig über Menschen gespöttelt, die behaupten, nie wieder jung sein zu wollen:

Ich denke dabei sofort an Gespräche mit älteren Menschen, die dir im Brustton der Überzeugung versichern, daß sie ‘NIE WIEDER SO JUNG’ sein wollen. Wobei ‘JUNG’ dabei nur ein Platzhalter für eine gerade zur Debatte stehende Altersstufe ist. Oft ist das die Pubertät oder die Schul- bzw. Studienzeit oder die Zeit der Berufsfindung. Meistens sind Menschen, die so etwas sagen, noch nicht so alt, daß sie sich als ganz aus dem Rennen (Beruf, Gesellschaft oder Sex) befindlich sehen. Andererseits meinen sie in der Regel, durchaus ‘ETWAS’ erreicht zu haben im Leben (Urlaub und Freizeit, Haus und Wagen, Kleidung und Manieren, nicht zuletzt Bekannte und Freunde beweisen ihnen das). Weswegen ihre Aussage, nie wieder so jung sein zu wollen, für mich nur das eine bedeutet: daß sie das Risiko scheuen, noch einmal zum Rennen antreten zu müssen. Was ja durchaus mit einem der hinteren Plätze ausgehen könnte.

Vermutlich gehöre ich zu jenen, die Susanne als „noch nicht ganz aus dem Rennen“ beschreibt – einfach durch Zugehörigkeit zur Generation 50plus. Nur dass ich mein Leben jetzt schon nicht mehr als „Rennen“ empfinde und auch nicht wieder in diesen Status geraten möchte.

Die Werte ändern sich

Die zweite Vermutung halte ich für abwegig, denn die genannten „Werte“ sind eben NICHT die Werte des Alters, sondern die Status- und Besitz-Werte der Jugend und des mittleren Alters (mein Haus, mein Konto etc.). Und selbst, wenn man ihnen auch später noch anhinge, so wäre es doch absurd, mit dem Wissen und der Erfahrung als älterer Mensch zu fürchten, beim „nochmal antreten“ zu versagen. Wie oft hört man doch ganz im Gegenteil: ach, hätte ich das damals schon gewusst, gesehen, erkannt, dann hätte ich ganz anders und viel erfolgreicher agieren können!

Nun, die Märchenfee wird nicht erscheinen und mich in Versuchung führen. Statt dessen bemüht sich ein neuer Wirtschaftszweig um die technisch vermittelte „Verjüngung“ all jener, die meinen, es gäbe kein lohnenswertes Leben in einem sichtbar alternden Körper.

Da die Preise sehr gesunken sind, könnte ich mir sogar die eine oder andere Schönheits-OP leisten. Weg mit den Falten, gestraffte Lieder – ich könnte glatt zehn Jahre „gut machen“. Aber wofür? Dazu will mir partout nichts einfallen. Und mein Liebster mochte schon die „5 Jahre weniger“ nicht, die mir eine Kosmetikerin kürzlich mal experimentell (und kostenlos) weggeschminkt hat. So konnte ich mir den Schmodder im Gesicht erleichtert wieder abwaschen!

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Diskussion

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7 Kommentare zu „Von Körper und Geist, Identität und Alter“.

  1. Liebe Claudia, einige Anmerkungen zu Deinem Text:

    “Und ich hätte auch wieder die Angst, all das nicht so zu schaffen, wie ich es mir wünsche: Angst, zu versagen, Angst, nicht genügend anerkannt zu werden…“.
    Nun gut, diese Ängste hast Du nun nicht mehr oder nur im geringen Maße, aber da wir um Ängste nicht rumkommen, hast Du dafür nun sicher andere „eingetauscht“. Um nur einige zu nennen: Angst vor plötzlicher schwerer, finaler Krankheit, Erkrankung/Pflegebedürftigkeit des nächsten Umfelds, Ängste im Zusammenhang mit ungelebten Schatten-Seiten oder mit Kindheitserfahrungen…das verlässt einen ja in der Regel nie.

    Das was Du mit „mehrere Dimensionen und Standpunkte erkennen“ umreisst, ist vielleicht tatsächlich eine Erunngenschaft des Alters. Der Verzicht auf Urteil für so manche Standpunkte, das geschieht häufiger. Aber wieso eigentlich muß das zwingend mit dem Alter daherkommen? Kann ein junger Mensch diese Eigenschaft nicht auch haben? Wenn ja, dann müsste ich meinen Satz von vorhin ändern mit „ist vielleicht tatsächlich eine Erunngenschaft DEINES Alters“.

    Du schreibst: „Doch anders als früher kann mich das Auftauchen der Sonne an einem bewölkten Tag in Ekstase versetzen“.
    Für mich kann ich (ohne Beweise allerdings) von einer besonderen Empfindsamkeit als Heranwachsender berichten. Damals war das auch en vogue, das Hereinströmenlassen der Eindrücke aus Natur und Umgebung und das Schauen, wie sich das anfühlt in mir, was für Gefühle und Empfindungen entstehen. Das nannte man wohl auch „Poesie“. Dieses besondere Wachsein, das ging dann wieder verloren, so wie man allgemein Dinge verlernen kann, wenn man sie nicht pflegt.

    Susannes Beobachtung des häufigen Ausspruchs „NIE WIEDER SO JUNG sein wollen“ kann für mich auch ein Trick sein, sich mit dem Altwerden abzufinden. Indem ich diese junge Lebensphase abwerte, kann ich es mir recht gemütlich auf meinem „Alterssitz“ machen. Denn jetzt geht es mir ja SOOO besser!

    Der Verzicht auf „Weg mit den Falten“ verstehe ich gut – für mich sind die Zeichen des Alters sekundär. Man kann sich sogar in die Falten seiner Liebsten verlieben…und wenn man schon Jugend braucht im Gesicht der Herzensdame, dann schaue man ihr doch bei allerlei Gefühlsregungen ins Gesicht – da findet man die (gesuchte) Jugend..und die kann ganz schön kräftig strahlen!

  2. Lieber Gerhard,

    sei herzlich bedankt für deinen inspirierenden Beitrag! Du schreibst:

    „Aber wieso eigentlich muß das zwingend mit dem Alter daherkommen? Kann ein junger Mensch diese Eigenschaft nicht auch haben? „

    Schreibt man über „das Altern“, über Ältere und Alte kommt man nicht ohne Pauschalisierungen aus – genauso wenig wie z.B. in Texten über Männer oder Frauen. Es ist unmöglich, das zu vermeiden, denn wenn es wegen der immer vorhandenen Ausnahmen und Gegenbeispiele nicht gestattet sein soll, bestimmte Eigenschaften konkreten Gruppen zuzuschreiben (Alte, Frauen, Journalisten, Blogger, Mütter, Väter etc.), dann kann man eigentlich gar nichts Spezifisches zu diesen Themen sagen. Außer halt vom eigenen Altern berichten – was ich ja durchaus tue, doch soll das hier nicht ein rein autobiografisches Medium sein.

    „Susannes Beobachtung des häufigen Ausspruchs „NIE WIEDER SO JUNG sein wollen“ kann für mich auch ein Trick sein, sich mit dem Altwerden abzufinden.“

    Wieso ein TRICK? Und: was soll man denn SONST tun, anstatt sich mit dem Altern abzufinden? Ich meine, „sich abfinden“ ist erst der Einstieg, das erforderliche Minimum – aber seit wann begnügen wir uns denn mit einem Minimum? Jedes Lebensalter hat seine Vor- und Nachteile, kann mit guten Gründen beklagt und gefeiert werden.

    Dass in unserer Gesellschaft das Alter mehrheitlich als großes Elend angesehen wird, wogegen die Jugend als bestmöglicher Zustand gilt, ist m.E. eine kollektive Neurose, gegen die ich gerne anschreibe, indem ich die Vorteile späterer Lebensjahre in den Blick rücke. Was wäre in einem Blog zur Kunst des Alterns anderes zu erwarten? Doch nicht etwa nur Jammern und Klagen über schwindende Attraktivität, zunehmende Zipperlein und diverse Macht- und Statusverluste. Das IST ja gerade die einseitige Sicht, die mich zum schreiben motiviert!

    Nun werden vielleicht einige Ältere sagen: Hey, du bist erst Mitte 50, warte mal ab, bis du 70 bist, dann ist Schluss mit lustig! Doch auch das ist wiederum nur eine einseitige Sicht: meine Wirklichkeit schaffe ich in jedem Lebensalter auch selbst – und zwar durch die Wahl dessen, worauf ich die Aufmerksamkeit lenke.

    Wenn ich eines hoffentlich niemals kommenden Tages nurmehr die Farbe des Morgenurins spannend finde, dann ist das aus meiner Sicht keine zwangsläufige Alterserscheinung, sondern ein unbewusstes sich-gehen-lassen und forciertes Kreisen um den eigenen Bauchnabel!

    Soweit für jetzt… :-)

  3. Liebe Claudia,
    dem von Dir oben angeführten Begriff „kollektive Neurose“ stimme ich zu. Der Gedanke, nur Jugend sei lebenswert oder zumindest von übberagender Bedeutung, klingt ja unter anderem bei solchen Sätzen an wie „Ich hatte keine Jugend; Achte auf Deine Jugend als höchstes Gut!“
    Wessen Jugendzeit nicht schön war oder nicht diesem Alter entsprechende Highlights und Erfahrungen beinhaltete, der war (nach dieser Ansicht) gleichsam für spätere Lebensabschnitte verloren, den bedauerte man zutiefst..

    Und so denke ich auch, daß „Dinge der Jugend“, durchaus noch später ihren Platz finden können, auch die sogenannte Frische der Jugend. Ich erinnere mich gerne an das Interviewbuch mit Henry Miller, mit dem Untertitel: „Meine Jugend beagnn mit 42“.
    Dein Gedanke „meine Wirklichkeit schaffe ich in jedem Lebensalter auch selbst – und zwar durch die Wahl dessen, worauf ich die Aufmerksamkeit lenke“ überzeugt mich für Dich – Du wirst es sicher so schaffen! Der Einfluß des Nachlassens bestimmter Botenstofe im Gehirn, den wird man aber nicht immer mit dem Anspruch „Ich kreiere immer noch mir selbst meine Gegenwart“ kontern können. In dem Sinne viel Erfolg für Dich mit dem Meistern der späten Jahre!

  4. Wie alt bist du denn selbst, Gerhard?

  5. Wieso fragst Du das, Claudia? Mein Alter ist Dir und anderen ja bekannt – und habe ich irgendetwas gesagt, das nicht meinem Alter entspricht?
    Das Nennen meines Jahrgangs habe ich „unterwegs“sein lassen, weil diejenige, die es einforderte, ja nicht mehr mit im Boot ist.

  6. Asche über mein Haupt! Ja, du bist ja der „punktgenaue“ Altersgenosse!
    Leider kann ich mir Daten von Menschen, die ich „online“ kenne, sehr schlecht merken – deshalb ja auch das zusätzliche Formularfeld!
    (Das natürlich auch Dritten/neuen Lesern zeigen soll, wie alt die Diskutanten sind -bei diesem Thema nicht ganz unwichtig).

    Jetzt vergess ich es gewiss nicht mehr! :-)

  7. Also mal ganz ehrlich Claudia-ich stimme dir von Herzen zu-ich möchte der Fee auch nicht begegnen. Es gibt fast nichts was ich von meinem bisherigen Leben bereue, aber ich möchte die Jahre auch nicht wiederholen müssen. Ja man war unbeschwert, ich bin oft mit dem Kopf durch die sprichwörtliche Wand gegangen um meine Meinung oder Ansicht oder meinen Lebensweg zu gehen, gegen den sehr konservativen,strengen und manipulierenden Vorgaben meines Elternhauses. Ich musste mir meinen eigenen Weg in jedem einzelnen Schritt erkämpfen, was ich nicht bereue und mir im rückblick auch viel gute Erfahrungen gebracht hat. Aber ich bin froh dass ich jetzt in der Lebensphase bin in der ich bin (auch wenn die mit Hitzewallungen und anderen Beschwerden nicht immer witzig ist.Aber sie ist seelisch,geistig eine mit jedem Tag bereichernde Zeit. Ich beobachte dies auch bei Freundinnen, die Interessen und Gespräche werden tiefer,gehen mehr an die Grundlagen unserer Existenz. Das man körperlich dafür einige Einschränkungen erfährt finde ich in Ordnung wenn auch manchmal etwas lästig.
    Ja Claudia, das mit dem spät weggehen geht mir auch schon seit längerem so.Es fing an als ich merkte, dass ich in den Discos den Qualm nicht mehr ertrug und seitdem gehe ich fast nur noch Tanzen im Sommer wenn man openair tanzen kann und wenn ich den nächsten Tag frei habe.
    Aber ich finde es gibt schlimmeres!! ;-)